Die
syrischen Christen in Nordost-Syrien
Der Nordosten der Arabischen
Republik Syrien heißt im Volksmund al Gazire, (d.h.
die Insel). Diese Region umfaßt die Provinz
Hasake und Teile der beiden Provinzen Raqqa und
Der izZor. In der Gazire (sprich: Dschasire)
leben heute ca. 100.000 -120.000 Christen, zu 90%
Angehörige syrischer Kirchen, die verbleibenden
10% fallen auf Mitglieder der verschiedenen
armenischen Kirchen. Die meisten Städte der
Gazire wurden erst in diesem Jhdt., nach den
Verfolgungen und den Massakern während und nach
dem l. Weltkrieg gegründet. Damals flohen die
Christen zu den Franzosen, die in Syrien
Mandatsmacht darstellten. Zuvor war die Gazire
schon seit Jahrhunderten nur dünn mit arabischen
Beduinen besiedelt. Nur in der heutigen
Grenzregion gab es städtisches Leben, so in Ras
alAin, Amuda und in einigen Dörfern östlich von
Qamishli.
Die syrisch-orthodoxe Marienkirche in Qamishli
Bis in die fünfziger Jahre
stellten die Christen in den meisten Städten die
Mehrheit der Bevölkerung dar. Seit der
Bodenreform und der Enteignung der Großgrundbesitzer
in den sechziger Jahren, sowie durch die hohe
Geburtenrate, hat die Zahl der muslimischen Bevölkerung,
insbesondere der Kurden rasant zugenommen.
Die Zunahme der muslimischen Bevölkerung hat
dazu geführt, daß in den Städten die Christen
nur noch eine, zum Teil nur kleine, Minderheit
darstellen. Das wurde von den Christen als
Bedrohung angesehen, deshalb haben viele ihrer
Heimat den Rücken gekehrt und sind ausgewandert.
Die Abnahme des christlichen Bevölkerungsanteils
hatte zur Folge, daß immer mehr Schlüsselpositionen
mit Muslimen besetzt werden. Aller-dings stellen
die Christen immer noch den ersten Bürgermeister
in Qamishli und Malkiye.
Andere Gründe für die Auswanderung sind, neben
der schlechten wirtschaftlichen Situation, auch
Übergriffe in den von Kurden dominierten
Gebieten, auf einzelne Christen. In einigen
Gegenden haben sich Kurden Felder - in der Gegend
von Malkiye sogar ganze Dörfer - von Christen
angeeignet und haben bis heute ihre Position mit
Hilfe von Bestechungsgeldern halten können.In
den Städten konnte die christliche Bevölkerung
ihre Zahl halten, weil die Bewohner der
umliegenden Dörfer in die Städte nachgezogen
sind. Gleichzeitig wurden aber die meisten
christlichen Dörfer verlassen. Insgesamt leben
heute nur noch ca. 3-5% der syrischen Christen in
den östlich von Qamishli gelegenen Dörfern.
Noch relativ intakte Dorfgemeinschaften sind in
den assyrischen Dörfern entlang des Khabur-Flusses
anzutreffen. Allerdings hat auch hier eine starke
Auswanderungswelle begonnen, seit der Khabur in
den Sommermonaten kein Wasser führt und die
Obstgärten und Felder verdorren.
Die Christen werden in Syrien generell nicht
verfolgt. Der Staat gewährt ihnen großzügige
religiöse und kultu-relle Freiheiten. Sie genießen
sogar Privilegien, die andere Minderheiten z.B.
die Kurden nicht haben. Im Ge-gensatz zu anderen
islamischen Staaten (Türkei, Ägypten) können
in Syrien problemlos Kirchen gebaut wer-en. Die
religiösen Gemeinschaften können auch Träger
von Kindergärten und Privatschulen sein, wo die
eigene Liturgie und die Kirchensprache
unterrichtet wird (Syrer und Armenier).
In der Gazire sind folgende syrische Kirchen
vertreten:
l. Die syrisch-orthodoxe Kirche stellt mit ca. 50.000
- 60.000 Mitglieder über 50% der Christen dar.
Rund die Hälfte von ihnen lebt in der Stadt
Qamishli, an der türkischen Grenze. Erst im
Jahre 1933 wurde die Diözese "alGazira w
alFurat" gegründet. Ihr Bischof, seit 1988
Mar Osthathios Matta Roham, hat seinen Sitz in
der Provinzhauptstadt Hasake, wo weitere ca. 15.000
Angehörige seiner Kirche leben. Weitere
Gemeinden hat die Kirche in den Städten Malkiye
(ca. 5.000), Qahtaniye, Rmelan, Amuda, Dirbesiye,
Der izZor und Raqqa. Die meisten kleinen Dörfer,
mit syrisch-orthodoxer Bevölkerung, wurden in
den letzten Jahren aufgegeben. Ihre Bewohner sind
in die Städte gezogen. Dauernd bewohnt sind nur
noch 10 der insgesamt 35 Dörfer.
Nördlich von Hasake liegen die Dörfer der
Qsowarne, einer arabischsprachgen Gruppen syrisch-orthodoxer
Christen aus der Mardin-Ebene. Erst in den
letzten Jahren sind einige Familien in die Dörfer
zurückgekehrt, die meisten waren zuvor nach
Hasake gezogen und bestellten ihre Felder von der
Stadt aus.
2. Die syrisch-katholische Kirche hat ca. 10.000
Mitglieder. Die Kirchendiözese wird seit 1996
vom Bischof Mar Jakob Behnan Hindo geleitet, der
seinen Sitz in Hasake hat. Die katholische Kirche
hat ihre Mitglieder in den Städten Hasake,
Qamishli und Malkiye.
3. Die chaldäische Kirche (6.000 Mit-glieder]
hat keine eigenständige Diözese in der Gazire.
Der Bischofssitz ist in Aleppo. Neben den in den
Städten der Gazire lebenden Chaldäern, gibt es
noch vier Dörfer mit chaldäischer Bevölkerung.
Das sind Tall Sakra und Tall Arbush am Khabur und
Hinnewiye und Khanik bei Malkiye.
4. Die alte apostolische Kirche des Ostens (nestorianische,
assyrische Kirche) hat knapp 20.000 Mitglieder.
Diese Kirche hat sich in Zwei Gruppen gespalten.
Die meisten gehören der westlichen Gruppierung
an, die in Hasake einen vakanten Bischofssitz hat.
Die Orientale Gruppe hat ihre meisten Anhänger
in Tall Hirmiz am Khabur, wo auch ein Bischof
residiert.
5. Die syrisch-evangelische Kirche hat ihre
Mitglieder in Qamishli, Hasake und Malkiye, wo
Die syrisch-evangelische Kirche in Hasake/Syrien
es jeweils eine Kirche mit einem
Pfarrer gibt. Insgesamt hat sie etwa 1400 Mit-glieder.
Seit neuerer Zeit heißt die evan-gelische Kirche
"nationale" evangelische Kirche und
umfaßt auch die armenisch-evangelische Kirche. 6.
Erst seit Mitte der achtziger Jahre gibt es in
der Gazire auch eine freikirchliche evangelische
Gemeinde. Zunächst war sie eine Abspaltung von
der evangelischen Kirche. Inzwischen hat sie auch
Mitglieder anderer Kirchen gewonnen. Zu dieser
Gemeinde zählen sich ca. 400 Personen.
Die ökumenische Bewegung ist unter den Christen
in der Gazire stark ausgeprägt. Es werden
gemeinsame Got-tesdienste gefeiert und ökumenische
Gebetswochen veranstaltet. Auch bei der Ausführung
von Trauungen, Ver-lobungen und Taufen wirken
manchmal Geistliche verschiedener Kirchen
gemeinsam. Bei den Christen werden untereinander
in der Regel keine Unterschiede mehr gemacht.
Gemischte Ehen sind weit verbreitet.
Zur Sprache:
Die syrischen Christen stammen alle aus der Südosttürkei.
In ihrer ursprünglichen Heimat sprachen sie, je
nach dem, aus welcher Gegend sie kamen, aramäisch,
arabisch oder kurdisch. Nur noch ein geringer
Teil der syrischen Christen spricht heute aramäisch
zu Hause. Das von den Christen gesprochene
Arabisch zählt mit seinen verschiedenen
Dialekten (vom Azxeni in Malkiye bis Qsorani in
Hasake) zum anatolischen qeltu-Arabisch, das die
älteste noch faßbare Schicht des Arabischen in
Mesopotamien darstellt. Die verschiedenen
Dialekte aus Anatolien sind heute noch größtenteils
erhalten.
Die dominante aramäische Sprache ist
das Turoyo, die Sprache der Christen, die
ursprünglich aus dem Tür Abdin gekommen
sind. Jahre lang wurde Turoyo in Syrien
vernachlässigt. Erst 1957, nach der Gründung
der ADO (Assyrische Demokratische
Organisation), wurde es aufgewertet. Man
hat angefangen, Gedichte, Lieder und
Theaterstücke auf Turoyo zu verfassen.
Immer mehr junge Leute versuchten T. zu
lernen. Neu war auch die Entwicklung von
Neologismen, um es in allen Situationen
des Alltags zu verwenden. Zu einer
Schriftsprache hat es allerdings heute
noch nicht gebracht. Es wird auch in
keiner Form gelehrt. Man setzt immer noch
auf die Wiederbelebung des klassischen
Syrisch.
Der Dialekt von Mlahso, ein weiterer
neuaramäischer Sprachzweig aus der Nähe
von Diyarbakir, wurde zwar nach Syrien (Qamishli)
gerettet, jedoch ist er mit dem Tod des
letzten Sprechers, Ibrahim Hanna, im
Jahre 1998, ausgestorben. (Zuvor war von
Prof. Dr. Jastrow eine Monographie zu
diesem Dialekt erschienen: Der neuaramäische
Dialekt von Mlahso, Wiesbaden 1994) |
Ibrahim Hanna, letzter sprecher des
neuaramäischen Dialekts von Mlahso (gest.1998)
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Die Mitglieder der apostolischen
Kirche des Ostens und ein Teil der Chaldäer (rund
20.000) sprechen mehrere Dialekte des Neuaramäischen
aus dem Verbreitungsgebiet des Ostsyrischen.
Diese Dialekte werden allgemein in dem Begriff
Ashuri "Assyrisch" zusammengefaßt. Mit
diesen am nächsten verwandt ist das Kildani
"Chal-däisch", das in den beiden chäldäischen
Dörfern Khanik und Hinnewiye und von den Chaldäern
in Malkiye gesprochen wird. Die Ashuri-und
Kildani-Dialekte gehören gemeinsam zu den sog.
Nordostneuaramäischen (NENA-) Dialekten. Auch
diese Dialekte sind nicht verschriftlicht worden.
Im 19. Jhdt. wurde auf der Basis des Dialekts von
Urmia in Persien, eine moderne Literatursprache
geschaffen, die dabei ist, bei den Assyrern den
Platz der klassischen Sprache einzunehmen.
Die Liturgiesprache:
Die Kirchensprache der alten syrischen Kirchen
ist das klassische Syrisch in seinen beiden
Varietäten (Ost- und Westsyrisch). Das Syrische
wird deshalb heute noch insbesondere von der
syrisch-orthodoxen Kirche gepflegt. Es wird in
allen kirchlichen Privatschulen den Kindern
unterrichtet. Zusätzlich werden in den
Sommermonaten Syrischkurse für jung und alt
angeboten. Jedoch verdrängt das Arabische die
alte Liturgiesprache immer mehr. So ist die
Liturgie in der chaldäischen, katholischen und
evangelischen Kirche mit Ausnahme nur weniger
Abschnitte, wie das Vaterunser, schon arabisiert.
Auch in der syrisch-orthodoxen Kirche werden große
Abschnitte der Liturgie in arabischer Sprache
gelesen. Nur die apostolische Kirche des Ostens hält
weiterhin an der syrischen Sprache in der
Liturgie fest.
Den größten Einfluß auf die Liturgiesprache übt
die Umgangssprache der Gläubigen. Wenn die Gläubigen
ara-bischsprachig sind, dann muß die Liturgie
dementsprechend ins Arabische übersetzt werden.
Sind sie allerdings aramäischsprachig, dann
werden die Abschnitte, die direkt die Gemeinde
betreffen, ins Aramäische übersetzt. Dadurch
bleibt die Liturgie aramäisch, einmal in der
klassischen Form (Syrisch), einmal in der
modernen Form, dem heute gesprochenen Aramäisch.
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