Mar Gabriel Verein - Mitteilungsblatt 1995


Die Sprache der syrischen Christen (2)
Helga Anschütz über: Otto Jastrow: Lehrbuch der Turoyo-Sprache

Der junge Doktorand (und heutige Lehrstuhl Inhaber für Orientalistik an der Universität Heidelberg) Otto Jastrow hatte sich 1967 zum Ziel gesetzt, die bis dahin nur mündlich überlieferte Umgangssprache der syrischen Christen im Tur Abdin eingehend zu studieren. Ausgerüstet mit Tonaufnahmegeräten reiste er mehrmals in das abgelegene und wegen seiner Unruhen gefürchtete Südostanatolien.
Auf den Spuren deutscher Orientalisten wie Prym und Socin ("Der neuaramäische Dialekt des Tur Abdin", 1881), Sachau ("Verzeichnis syrischer Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin", 1899) oder Kunsthistoriker wie Preusser ("Nordmesopotamische Baudenkmäler" 1911) besuchte Jastrow eine Reihe von Dörfern und Kleinstädten im Tur Abdin und den angrenzenden Gebieten der Provinz Mardin. 1967 war der Ausnahmezustand, der seit Ende des 1. Weltkriegs in diesem Gebiet galt, erstmals aufgehoben worden, obwohl es immer noch zu Unruhen und Überfällen von Kurden auf die einheimische christliche Bevölkerung und Regierungseinrichtungen kam.


Das Kloster Mar Gabriel

Jastrow fand damals noch intakte syrisch-orthodoxe Gemeinden vor und konnte, angeregt von den Arbeiten des großen Orientalisten Helmut Ritter (Turoyo, 3 Bde. 1967-1990) dessen Textsammlung durch umfangreiche Neuaufnahmen erweitern und zu einer "Laut- und Formenlehre des neuaramäischen Dialekts von Midin im Tur Abdin" (1969, 1985) ausbauen, die als Grundlage für das neueste Werk (s.o.) dient. Obwohl der Dialekt von Miden einige Besonderheiten aufweist, kann er doch als Beispiel dieser auch in den anderen christlichen Dörfern der Region gesprochenen Sprache angesehen werden. Im Lauf der Zeit hat die Turoyo-Sprache ("turo" bedeutet. "Berg") manch andere Elemente aufgenommen. Neben türkischen und kurdischen Lehnwörtern findet man vor allem arabische, z.B. "ayno" (Quelle) entspricht, dem arabischen "ain"; "yawmo" (Tag) dem arabischen "yaum" usw..
Der Ursprung des Turoyo ist das Aramäische, einst eine bedeutende Kultursprache des Vorderen Orients, die vor 2000 Jahren die Verkehrssprache zwischen Mittelmeer und dem Hochland von Iran war. Vermutlich hat auch Jesus von Nazareth Aramäisch gesprochen. In diesem Gebiet bildeten sich in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten blühende Gemeinden, in denen das aus dem Aramäischen hervorgegangene Altsyrisch als Kirchensprache in Wort und Schrift verwendet wurde.
Jastrows Buch erfüllt mehrere Aufgaben: es wendet sich keineswegs nur an Sprachwissenschaftler, es ist vor allem auch ein praktisches Lehrbuch für die Volksgruppe selbst, das zeigt, daß eine moderne Schriftversion ihrer Sprache unter Verwendung der lateinischen Umschrift, möglich ist. Einen großen Informationswert haben auch die ausgewählten Beispiel Texte, die einen Einblick in das dörfliche Leben geben (z.B. Melonenernte, Steinhuhnjagd mit Lockvogel, Brotbacken, Käseherstellung). Beeindruckend die Texte, die die nahezu alltägliche Bedrohung und Unterdrückung durch die kurdische Bevölkerung und die Diskriminierung durch die Behörden zum Gegenstand haben. Texte wie: "Wie mein Vater ermordet wurde" oder "Als Christ im türkischen Militärdienst" sind zeitgeschichtliche Dokumente.

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