Mar Gabriel Verein - Mitteilungsblatt 1995


Ostern in Midyat: Reiseskizzen (Klaus-Jürgen Landeck)

Von weit her leuchten jetzt noch - im April - Schneefelder herüber, an manchen Tagen ist es empfindlich kühl. Das Grün ist spärlich und das für den Tur Abdin so typische niedrige Eichengestrüpp, das als Brennholz dient, wirkt kahl. Das Osterfest wird nach dem ersten Frühjahrsvollmond gefeiert, aber "nicht zusammen mit den Juden". Wir sind eine kleine Gruppe von Freunden der syrischen Christen, unter ihnen der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Hamburg, Propst Dr. Hoerschelmann und der Sprecher der Solidaritätsgruppe Tur Abdin, Professor Hollerweger und wohnen im Kloster Mar Gabriel.

Um zur Ostermesse nach Midyat zu kommen, müssen wir früh aufstehen. Wir lauschen dem faszinierenden Wechselgesang der beiden Chöre, die sich vorn gebildet haben. Später wird die Kirche überfüllt sein, wenn das am Karfreitag in das Grab versenkte Kreuz herausgeholt, und den Gläubigen gezeigt wird. Die in einem abgetrennten Bereich hinter Holzgittem sitzenden Frauen stimmen den Ostertriumpf an, ein helles Trillern. Zum Abschluß schiebt sich die Menge nach vorne, auch wir gehen die Stufen zum Lesepult hinauf, küssen die silberbeschlagene Bibel und das Kreuz, das uns der Bischof entgegenhält.

Nach der Messe hält der Bischof Timotheos Samuel Aktas in seinen Räumen Audienz. Honoratioren, aber auch schlichte Bürger von Midyat kommen in kleinen Gruppen und nehmen auf den rotgepolsterten Sesseln Platz. Wir alle werden mit Ostereiern, die mit Zwiebel schalen braun gefärbt sind, Süßigkeiten, Kaffee und Zigaretten bewirtet. Zwischen den Gemeindemitgliedern und dem Bischof werden Dialoge geführt, die wie Streitgespräche wirken, ohne es zu sein, hier liebt man offenbar diese Form der Rhetorik.
Gegenseitige Osterbesuche sind bei den Christen im Tur Abdin üblich. Man bleibt nicht lange und zieht dann zum nächsten weiter. Auch wir wandern, ausgestattet mit einer Adressen-Liste und einem Jungen als Führer, von Haus zu Haus. In den Wohnzimmern sitzt man ähnlich wie im Audienzraum des Bischofs entlang der Längs- und Querseiten des Raumes. Es ist ein Kommen und Gehen. Auch Muslime treffen wir an - Nachbarn oder Geschäftsfreunde - die sich am christlichen Brauch der Osterbesuche beteiligen.

Auf unserem Gang durch die Gassen von Midyat sind wir plötzlich von einem dichten Gefolge gut angezogener, entschlossen wirkender Männer umgeben, die aus dunklen Limousinen entstiegen sind und offensichtlich dieselbe Adresse ansteuern wie wir. Gleich klärt sich die Situation: Es ist der Kaymakam von Midyat, der einem der vier Muhtar der Stadt - einem Christen - den Osterbesuch abstattet. Wir lernen ihn dann im Gespräch kennen, er berichtet u.a. von dem mißglückten Transfer einer Baumaschine aus Deutschland nach Midyat. Er hat eine kleine Sensation in der Türkei Psychologie studiert. Wir verabreden ein weiteres Gespräch am Ende der Woche im Rathaus, in dem wir grundsätzliche Fragen eines Studenten-Besuchs-Programms besprechen wollen.

Am zweiten Ostertag werden wir gebeten, im Gottesdienst eines unserer Osterlieder vorzusingen. Wir entscheiden uns für "Christ ist erstanden". Der Bischof stellt uns vor und Propst Hoerschelmann ergreift auf seine Aufforderung hin das Wort. Aus dem Englischen wird ins Turoyo übersetzt und die Gemeinde hört aufmerksam und offensichtlich beeindruckt zu. Als wir nach draußen kommen, weht uns heftiger kühler Wind entgegen. Das traditionelle Picknick zwischen den Gräbern der alten Klosterkirche Mar Abraham am Rande von Midyat beginnt nun. Man hat Fladenbrot., Kekse, Eier und Süßigkeiten mitgebracht und gibt uns gerne davon ab.

Nach den Ostertagen besuchen wir einige der wenigen noch überwiegend christlichen Dörfer. Am weitesten im Osten, schon fast an der irakischen Grenze, liegt Hassana. Aus der Ebene führt, ein erst schlammiger, später steiniger Weg hinauf. Die Obstgärten von Hassana wirken wie ein kleines Paradies am Fuße des Cudi Dagh, eines steil aufragenden Gebirgsmassivs. Hier, und nicht am Ararat, soll nach einheimischer Überlieferung die Arche Noah gelandet sein. Noch bis Ende der sechziger Jahre zogen Christen, Kurden und Jeziden im Frühjahr in einer Prozession hinauf. In Hassana lebt man jetzt fast ausschließlich von der Weberei im traditionellen Stil. Landwirtschaft ist nicht mehr möglich, da die in der Ebene gelegenen Felder regelmäßig von den Herden der unterhalb lebenden kurdischen Nachbarn zertrampelt werden. Andrerseits tun die Bewohner von Hassana nichts, um die so dringend notwendige Wasserversorgung ihrer unteren Anrainer durch eine Ableitung des in ihrem Dorf reichlich vorhandenen Wassers sicherzustellen. So geht der Streit fort. Nachts kommen PKK-Guerilleros, in kleinen Gruppen steigen sie aus den Höhlen des Cudi Dagh herab. Die Bevölkerung muß sie mit Lebensrnitteln versorgen. Schon hat die Regierung gedroht, das Dorf genauso aufzulassen wie andere (kurdische) Dörfer des Cudi Dagh.


Keferze - heute überwiegend von Kurden bewohnt

Hoch über Hassana soll sich ein Monument befinden, eine in Stein gehauene Inschrift. von Nebukadnezar. Wir verzichten auf den langen Anstieg und kehren ins Dorf zurück, zu den freundlichen Bewohnern. Können wir ihnen helfen? Der im vorigen Jahr gelieferte Webstuhl - ein kleines Entwicklungshilfeprojekt - steht unbenutzt, in einem Haus, zu dem der Schlüssel kaum aufzutreiben ist. Aber als wir von unserem Plan erzählen, deutsche Studenten als Gäste in dieses malerische Gebirgsdorf zu bringen, ist die Zustimmung groß, spontan und ehrlich. Gäste würden gut untergebracht werden, sie könnten am dörflichen Leben teilnehmen, vielleicht auch mit den Kindern was machen, für die es schon seit einiger Zeit keinen Schulunterricht mehr gibt. Und nicht zuletzt: Gästen aus Europa würde nichts passieren, und das würde sich positiv auf die Sicherheit, des Dorfes auswirken. Schon unserer Besuch bedeutet, den Dorfbewohnern etwas, aber - so sagen sie mit Recht. - wir bleiben ja nur ein paar Stunden.

(Der Besuch fand im April 1993 statt. Im November wurden die Bewohner aus Hassana vertrieben. Sie wurden vorübergehend in verschiedenen Orten des Tür Abdin angesiedelt. Viele sind inzwischen nach Europa ausgewandert. - Der christliche Muhtar von Midyat, den wir besuchten, ist. vor einem Jahr ermordet worden.)

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