Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 1994
Fortsetzung:
Ab etwa 1984 erreichte der Druck auf die Christen
in ihrer angestammten Heimat einen Höhepunkt
durch den Kampf der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK)
gegen die türkische Regierung. Die etwa 10000
noch verbliebenen Christen gerieten zwischen die
Fronten. Von militärischen und staatlichen
Stellen wurden sie hart bestraft, wenn sie unter
den Todesdrohungen nächtlicher Überfälle der
PKK Lebensmittel und Geld übergaben. Mehrere
Christen wurden von der PKK ermordet, wenn sie
sich den Forderungen nicht fügten oder sich
loyal zur Regierung stellten. Inzwischen wurde
zum Schutz der Dörfer die Einrichtung der "Dorfwächter"
geschaffen; sie sollten die PKK bekämpfen,
richteten ihre Aggression aber vielfach gegen die
christlichen Dorfbewohner, erpreßten und raubten
sie aus. Hinter ihnen stehen bis heute oft die
Feudalherren, selbst Ziel der PKK-Kämpfer (die
den Landbesitz in der rückständigen Südost-Türkei
umverteilen wollen).
So haben die Christen unter dem Druck mehrerer
Parteien zu leiden, derzeit vor allem unter den räuberischen
Banden, die sich als "Dorfwächter"
ausgeben und für viele Morde an Christen und
Jesiden in letzter Zeit verantwortlich sind. Das
Militär hat das Gebiet nur tagsüber unter
Kontrolle, während sich die Aufständischen im
unwegsamen Bergland verborgen halten; nachts
dagegen beherrschen die letzteren weitgehend das
Gebiet.
In letzter Zeit - etwa ab 1992 - tauchen
angeblich islamische Fanatiker auf, die sich
selbst als Angehörige der "Hizbollah"
bezeichnen, aber keine Verbindungen zu der
gleichnamigen Gruppe im Libanon haben. Man sagt
ihnen dagegen Kontakte zum Iran nach. Jedoch ist
es wahrscheinlicher, daß dahinter die Gruppe der
Großgrundbesitzer steht, die die Furcht der
Christen vor islamischen Fanatikern dazu benutzt,
Druck zum Verlassen der Dörfer und Aufgabe des
Landbesitzes auszuüben. Vielleicht geht ihre
Rechnung auf, nach verschiedenen Morden an
Christen besonders solchen, die in ihrer Heimat
ausharren wollten - in den Jahren 1992 und 1993.
Es ist aber auch möglich, daß Anhänger eines
kurdischen Wander-Predigers aus Cizre, der schon
in den sechziger Jahren Hetzparolen gegen die
Christen verbreitete, hinter den Morden stecken,
die schon teilweise vorher angedroht waren. Die türkischen
Behörden jedenfalls stehen diesen Zuständen
offenbar noch gleichgültig gegenüber, weil sie
die syrischen Christen vom Tur Abdin mit den
Armeniern gleichsetzen, die zusammen mit der PKK
für einen nebulösen Staat in der Osttürkei kämpfen
sollen - wie Gerüchte unter Türken besagen -
vermutlich handelt es sich aber nur um einzelne
Vertreter der armenischen Asala-Organisation, die
zeitweise durch Terroraktionen gegen Türken von
sich reden machte.
Die meisten syrischen Christen vom Tur Abdin
haben die Konsequenz aus ihrer - wie es sich
darstellt - schutzlosen Lage gezogen: die
Auswanderung hält an. Vor zwei Jahren lebten nur
noch etwa dreitausend dort. Jetzt, nach den jüngsten
Mordanschlägen, dürfte die Zahl noch wesentlich
darunter liegen.
Ob Hilfe von außen - durch den Weltrat der
Kirchen und andere Organisationen - das Ende der
christlichen Kirche und Kultur im Tur Abdin
verhindern kann, hängt davon ab, ob die Christen
endlich den notwendigen Schutz der türkischen
Regierung erhalten, aber auch davon, inwieweit
ihre Glaubensbrüder im Exil ihnen ideelle und
materielle Unterstüzung geben können. Nicht
umsonst haben der syrisch-orthodoxe Patriarch und
die Synode alle Anhänger aufgerufen, die Heimat
ihrer Heiligen zu halten, andernfalls verlören
sie ihre tiefsten Wurzeln und die alte
Gemeinschaft löste sich in der neuen Umwelt auf.
Schon beherrschen viele Kinder ihre Muttersprache
nicht mehr, kennen nicht mehr die Namen und die
Geschichte ihrer Heiligen und Gelehrten, die den
Namen des Tur Abdin in der damals bekannten Weit
verbreitete.
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