Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 1994
Menschenrechtsverletzungen
gegenüber Christen im Südosten der Türkei
Von Barbara Neppert
Seitdem die
Kurdische Arbeiterpartei PKK den bewaffneten
Kampf gegen die türkischen Sicherheitskräfte
begonnen hat, hat sich die Situation der Christen
erheblich verschlechtert, sie stehen von allen
Seiten unter Druck: Wenn die PKK unter Androhung
von Waffengewalt z.B. Lebensmittel bei ihnen
eintreibt, werden sie wegen dieser "Unterstützung"
angezeigt. Das kann Razzien durch das Militär,
Zerstörung des Eigentums, Festnahmen, Folter, u.U.
auch Vertreibung des ganzen Dorfes zur Folge
haben. Das Militär wird im Kampf gegen die PKK
von Milizionären, den Dorfschützern, unterstützt.
Neben den Dorfschützern bedrohen zunehmend
Mitglieder der in der Türkei neuentstandenen
islamistischen Gruppe Hisbollah die Christen. Hier
die traurige Chronik der Ereignisse des Jahres
1993:
13.Januar:
Bei zwei bewaffneten Überfällen auf
mit Christen und Yeziden besetzte Minibusse in
der Nähe von Midyat wurden insgesamt 7 Personen
getötet und zahlreiche weitere schwer verletzt.
Unter den Ermordeten waren der Dorfvorsteher von
Enhil (türk.: Yemisli) und zwei syrisch-orthodoxe
Christen aus Augsburg. Nach Berichten von überlebenden
Augenzeugen waren die Täter Dorfschützer. Die türkischen
Behörden lasteten den Anschlag der PKK an, ein
ordentliches Ermittlungsverfahren wurde nicht
durchgeführt.
19. Januar: Im weitgehend schon
verlassenen Dorf Zaz (türk.: Izbarak) wurden
drei Männer und eine Frau festgenorrmen, weil
sie die PKK mit Lebensmitteln versorgt hätten.
Sie waren schweren Mißhandlungen ausgesetzt,
einer blieb Monate in Haft. Ihre Häuser wurden
demoliert. Heute haben alle christlichen Familien
Zaz verlassen.
6. Februar: Ein Minibus, der von
der Stadt Midyat kommend in Richtung Zaz und Hah
fuhr, wurde durch eine Mine in die Luft gesprengt.
Dabei wurden mehrere Menschen, darunter ein
christlicher Kaufmann aus Hah, getötet.
23. Februar: Lahdo Barinc, der
Religionslehrer des Dorfes Miden (türk.: Ögündük)
und zwei Bewohner eines anderen Dorfes
yezidischen Glaubens werden entführt. Die
vermumten Entführer geben sich als PKK-Kämpfer
aus, Zeugen berichten jedoch, daß es sich um
Dorfschützer bzw. Angehörige der Hisbollah
handelt. Weder die Gendarmerie noch der zuständige
Landrat unternehmen etwas. Stattdessen werden die
Christen aus Miden aufgefordert, einen Brief zu
unterzeichnen, in dem sie erklären, daß sie
keine Probleme haben und ihre christliche
Religion ungehindert ausüben können. Im Herbst
93 wird Lahdo Barinc gegen ein hohes Lösegeld
freigelassen. Es war die ganze Zeit über
gefesselt und leidet noch jetzt unter den Folgen.
Im Juli wurden die Dorfbewohner
von Bakisyan (türk.: Alagöz) und Deyr Qube (türk.:
Karagöl) unter dem Verdacht, der PKK
Lebensmittel gegeben zu haben, von Militär und
Dorfschützern zusammengetrieben, bedroht und
aufgefordert, ihre Dörfer zu verlassen.
20. August: Das Militär treibt
die Bewohner des Dorfes Bote (türk.: Bardakci)
auf einem Platz zusammen. Auch hier geht es
wieder um den Vorwurf, die PKK zu unterstützen.
Ihre Häuser werden teilweise mit Bulldozern
zerstört.
September: Die Bewohner von
Marbobo (türk.: Günyordu) werden von Dorfschützern
eingeschüchtert und terrorisiert. Sie haben
Angst, aus dem Hause zu gehen, es ist ihnen
verboten, die Kirche zu betreten oder das Dorf zu
verlassen.
26. Oktober: Bewohner aus
Bakisyan werden wegen angeblicher Unterstützung
der PKK festgenommen. Weitere Bewohner, die sich
bei den Behörden für sie einsetzten, werden
einige Tage später inhaftiert. Bei dieser Aktion
waren auch Dorfschützer beteiligt und es kam zu
schweren Folterungen.
4. November: Die Bewohner von
Hassana (türk.: Kösrali) im Kreis Sirnak werden
aufgefordert, das Dorf bis zum 20. Nov. zu
verlassen. (Hassana liegt am Ausgang des Cudi-Gebirges
und wurde tatsächlich von PKK-Gruppen wegen
Lebensmittelnachschub "besucht"). Die
Bewohner haben bis zum angegebenen Termin das
Dorf geräumt, sie sind z.T. in von Christen
verlassenen Häusern in anderen Dörfern und in
Midyat untergebracht. Sie haben nur wenig von
ihrer Habe verkaufen oder mitnehmen können und
sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen.
29. November: Der Dorfvorsteher
von Hah kommt durch eine Minenexplosion ums Leben
(der Anschlag galt möglicherweise nicht ihm,
sondern türkischen Beamten, die man im Fahrzeug
vermutete). Damit haben die letzten ca. zehn
christlichen Familien in Hah ihren Rückhalt und
ihre Führung verloren.
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