Mar Gabriel Verein - Mitteilungsblatt 2004


Patriarchen, Propheten, Mönche und Moslems

Türkeireise des Lehrhauses Bremen vom 11. bis 25. 10. 2003

Fortsetzung

An der breiten Straße, die auf Mardin zuführt, wird rechts gerade geböllert. Man begrüßt ein Brautpaar. Aus dem nachmittäglichen Dunst tritt langsam die Stadt Mardin hervor. Sie scheint am Berg zu hängen. Doch die idyllische Lage täuscht, hier gibt es nicht nur die nahezu biblische „Stadt auf dem Berge“, sondern auch die raue Gegenwart. Die macht sich in den großen Kugeln oberhalb der Burg fest. Die Amerikaner horchen von hier oben mit ihren Antennen nach Syrien und dem Irak hinein. Und auch das Hotel mit Blick in die Weite der syrischen Ebene ist nur für sie reserviert.

Unser Touristenhotel liegt in der Neustadt, auf der anderen Seite des Berges. Gegessen wird jedoch in einem wunderschönen Altstadthaus, in dem sich eine Einheimische mit ihrem Restaurant selbstständig gemacht hat. Von dessen Terrasse aus genießen wir des Abends den Blick über die Ebene nach Syrien hin.

Der Ort selbst hat vermutlich durch seine „moderne“ Bautätigkeit im 20. Jahrhundert viel von seinem einstigen Reiz verloren. Nur noch ab und an sieht man die aus Natursteinen gebauten und mit verzierten Fenster- und Türrahmen versehenen alten Häuser. Dazwischen geistlose Betongerüstbauten. Heute pflegt und renoviert man die alten Bauten wieder zwischen denen eine Reihe ehrwürdiger Moscheen wie alter Kirchen zu finden sind. Am Busparkplatz mitten in der Altstadt fällt der Blick auf das ehemalige Gebäude des syrisch-katholischen Patriarchats. Der Patriarch residiert heute in Beirut. Sein Palais wird jetzt als Museum genutzt.

    Uns zieht es jedoch zum Kloster Deir ez-Zafaran, einem Bau, der auf die Zeit des Kaisers Anastasius (491 – 518) zurückgeht und der  von 1166 bis 1932 mit Unterbrechungen der Sitz des syrisch-orthodoxen Patriarchen ist. Nach 1933 residieren sie zunächst in Homs; heute in Damaskus.

    Von Cem Göncü, unserem Reiseagenten aus Urfa, mit traditionellem Gebäck aus Mardin versorgt, verlässt der Bus den Ort in Richtung Osten. Ein paar Kurven und schon ist das Kloster unterhalb einer Bergwand auszumachen. Ein neues Tor wird durchfahren und der Bus hält unweit des Eingangs. Auf der Treppe kommt uns der junge, dynamische Abt Gabriel lächelnd entgegen. Er verabschiedet noch schnell ein paar einheimische Besucher - es ist schließlich Sonntag - und dann ist er ganz für uns da. Nach der Begrüßung führt er uns zunächst in die Kirche aus dem fünften oder sechsten Jahrhundert. Es ist ein quadratischer Bau mit drei Konchen. In der östlichen befindet sich der Chor mit dem Altar aus dem Jahre 1941. Die beiden anderen sind für die Sängerchöre geschaffen. Am Eingang der Chorkonche stehen zwei Patriarchenthrone. In der Rückwand des linken sind die Namen aller syrisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochien eingetragen, angefangen beim Apostel Petrus. Darauf legen die Aramäer großen Wert, dass die Kirche von Antiochien auf den Heiligen Petrus zurückgeht; wie Rom. Ja, dass die „Jesuaner“ in Antiochien erstmals Christen genannt werden. An den beiden verzierten Säulen neben den Thronen hängen zwei Bischofsstäbe. Der linke ist ein westlicher Krummstab, der rechte, ein ostkirchlicher Stab mit den beiden Schlangenhäuptern.

    Der Abt fragt, ob wir in der Kirche Gottesdienst feiern wollen. Er stellt sie uns umgehend zur Verfügung, als wir bejahen. Danach erscheint er wieder, um uns die Geschichte des Klosters zu erzählen, uns Rede und Antwort zu stehen und durch das Kloster zu führen. Da er sich auf Anhieb mit Ünal, unserem Reiseführer, der übersetzen muss, gut versteht, kommt es zu einem informativen Dialog, der auch die nicht einfache Lage der Christen in gegenseitigen Frotzeleien durchscheinen lässt. Ein wenig konsterniert schauen sich jedoch einige Lehrhäusler an, als der Abt für den fehlenden Priesternachwuchs die fehlenden Heimchen am Herd verantwortlich zu machen versucht.

    Nach dem Gespräch geht es in der Grabkapelle an der Südseite der Kirche. Hier wurden syrisch-orthodoxe Patriarchen der Sitte gemäß auf einem Thron sitzend begraben. Die Marienkirche auf der Nordseite hinterlässt wegen ihrer Unberührtheit einen großen Eindruck. Durch die königliche Pforte in der steinernen Trennwand zum Chor fällt der Blick auf einen einfachen Steinaltar. Er ist von einem alten hölzernen Baldachin mit geometrischer Verzierung und aramäischer Inschrift überwölbt. Das uralte Taufbecken ist achteckig. Acht ist das Zeichen der Vollkommenheit wie der Auferstehung. Im Becken erleben die Kinder beim Untertauchen Tod und Auferstehung symbolisch mit. Nackt in das Wasser getaucht und danach mit Öl gesalbt, das bedeutet, dass der Täufling mit Christus dem Gesalbten „bekleidet“ wird.

    Eine alte Sänfte, in der der Patriarch von Pferden getragen reiste, lässt die Gedanken in frühere Zeiten schweifen, in denen Bus und Flugzeug noch nicht selbstverständlich waren.

Bewundernde Blicke zieht die Decke der Krypta auf sich. Sie gehört wie der ganze Raum der Überlieferung nach zu einem über 2000jährigen heidnischen Tempel. Ihn hat das Kloster im 5./6. Jahrhundert überbaut. Die Decke aus rechteckigen Steinblöcken überstand bisher jedes Erdbeben, denn sie sind so angebracht, dass sie ineinander verkeilt sind.

Das Kloster macht insgesamt einen guten Eindruck im Gegensatz zu vor dreißig Jahren; und zwar nicht nur von außen, sondern auch von innen. Dazu haben nicht wenig die Gastarbeiter beigetragen, die nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen ihre angestammte Heimat verließen, sie aber keineswegs vergessen haben.

Kurz vorm Dunkelwerden wird nach einer Stippvisite in die in goldenes Sonnenlicht getauchten Sultan-Kasim-Medrese noch die syrisch-orthodoxe Kirche der vierzig Märtyrer von Sebaste in Mardin besucht. Sie ist heute das kirchliche Zentrum des Orts und Sitz eines mit dem Titel Chorbischofs ausgezeichneten verheirateten Priesters. Insgesamt gibt es fünf Kirchen in Mardin, in denen die übrig gebliebenen 70 syrisch-orthodoxen Familien im sonntäglichen Wechsel ihre Gottesdienste feiern. Eine der Kirchen ist chaldäisch und eine syrisch-katholisch. Da es aber nur noch eine syrisch-katholische Familie am Ort gibt, nimmt sie an den orthodoxen Gottesdiensten teil und öffnet ihre Kirche für denselben.

In der Kirche der 40 Märtyrer von Sebaste lernen wir erstmals syrische Ikonen kennen. Sie sind nicht sehr alt. Ihr Stil ist naiv, aber dennoch eindrucksvoll. Auf zweien wird die Geschichte des Martyriums der vierzig Märtyrer unter Kaiser Licinius im 4. Jahrhundert dargestellt. Sie mag den syrischen Christen ein Trost in schwerer Zeit gewesen sein, schildern die zwei Ikonen doch die Standhaftigkeit von 40 Männern, die lieber nackt auf einem zugefrorenen See sterben, als, wie vom Kaiser gewünscht, ihrem Glauben abzuschwören. Nur einer wird weich. Er flüchtet sich in die angeheizte Badestube. Ein römischer Soldat macht die Zahl der vierzig dann wieder komplett, weil er, überwältigt von der Standhaftigkeit seiner christlichen Kameraden, sich auskleidet und nackt auf den See begibt. Hat dieses Bild nicht Ähnlichkeit mit ihrer Situation?

Auf anderen Ikonen sind ein paar syrische Heilige dargestellt, meistens Mönche. Sie waren in der Geschichte der Aramäer die Lehrer ihres Volks und die Garanten der Überlieferung des Glaubens. Die skurrilste Ikone zeigt den Mor Malke, einen Mönch, der die Tochter des Kaisers Konstantin vom Teufel befreit. Der dankbare Kaiser will ihm daraufhin jeden Wunsch erfüllen. Mor Malke verlangt jedoch nur nach einem Stein, mit einem Loch in der Mitte. Den lässt er vom Teufel in sein Kloster tragen. Auf der Ikone führt er einen kleinen Teufel wie einen Hund an der Kette. Bewundert werden jedoch auch der silberbeschlagene Tabernakel sowie die modernen Vorhänge. Zum Schluss trägt uns der Priestersohn das „Vater unser“ auf Aramäisch vor.

Am nächsten Tag geht es weiter ostwärts zum legendären Tur Abdin, dem „Berg der Gottesknechte“. Diese Gegend im Grenzgebiet zu Syrien wird wegen der vielen Mönche so genannt, die hier seit dem 4. Jahrhundert ihre Klöster bauen. Dies mit Krüppelkiefern bestandene hügelige Gebiet ist urchristlicher Boden, denn bereits Anno 120 n. Chr. ist hier ein erster Bischof nachgewiesen. Heute sind viele der Klöster verlassen oder gar zu Ruinen verfallen. Zentrum des Tur Abdin ist heute das Kloster Mor Gabriel, von der aus der syrisch-orthodoxe Erzbischof Timotheus Samuel Aktas seine klein gewordene Diözese leitet.

Wir streifen auf unserem Weg zum Kloster zunächst das Städtchen Midyat. Die minarettähnlichen Kirchtürmchen seiner vier christlichen Gotteshäuser nehmen wir im Vorbeifahren wahr. Wir stellen auch fest, dass die Kreuze erst im letzten Augenblick zu erkennen sind. Sie sind aus Eisenbändern geformt. Zufall oder Absicht? Jedenfalls künden die kleinen Glocken im Turm davon, dass das Läuten nicht verboten ist. 

Während man über derlei nachdenkt, ist der Bus schon auf dem Weg zum rund 20 km entfernten Kloster; auf guter Straße. Sie ist ein Zeichen dafür, dass auch die türkischen Behörden begriffen haben, dass das Kloster ein Ass in Punkto Tourismus ist. Es steht seit langen auf den Programmen von Rundreisen in den Osten der Türkei.

Unter Umständen lässt sich Erzbischof Timotheus auch deshalb nicht von seinem Gang aufs Feld abhalten, als unser Bus durchs Tor vor den Klostereingang fährt. Touristengruppen können schließlich auch nerven. Ich entdecke den Erzbischof jedoch im Vorbeifahren, denn seine rote Soutane und sein schwarzer Mönchsschleier mit den 13 gestickten Kreuzen darauf verraten ihn. - Das große Kreuz im Nacken erinnert an Christus, die jeweils sechs kleinen zur rechten und linken Seite des vorderen Kopfes symbolisieren die 12 Apostel. Deutlicher kann man wohl nicht zeigen, in wessen Nachfolge man agiert und wer einem sozusagen wortwörtlich im Nacken sitzt. –

Ich gehe dem Erzbischof nach. Denn auf die Begegnung mit ihm haben besonders Karl Küpper und ich uns gefreut. Karl Küpper hat die Gruppe zuvor mit der syrisch-orthodoxen Kirche vertraut und sich selbst durch einen Besuch im syrischen Kloster in Warburg und in der Gemeinde in Delmenhorst schlau gemacht. Ich finde den Erzbischof vorm Klostertor, wo er sich auf einem Feld umsieht, wie weit die Arbeiter mit dem Bau einer Mauer sind. Die arabische Anrede „Sayyidna“ - „Monsignore“ - lässt ihn zunächst noch ein wenig kühl zur Seite schauen. Doch als ich ihn bitte, zurück ins Kloster zu kommen, da ihn dort zwei hohe Gäste erwarteten, muss ich den Metropoliten nicht zweimal bitten. Seine Minen hellen sich zusehends auf, als ich ihm Fotos von seinem Vorgänger zeige. Ich habe sie mitgebracht, um ihm zu beweisen, dass ich vor dreißig Jahren bereits einmal Gast im Kloster war. Sein auf dem Foto abgebildeter Vorgänger habe nur ein Jahr regiert, erzählt der Erzbischof. Er sei in Holland bei einem Verkehrsunfall umgekommen. Im Weitergehen holt der Erzbischof sein silbernes Brustkreuz aus der Hosentasche und legt es sich um. Ich nehme das zufrieden zur Kenntnis. Inzwischen erreichen wir beide die Gruppe im Kloster.

Dort stelle ich dem Erzbischof neben dem „Primeminister“ Dr. Henning Scherf auch den Münchener Theologieprofessor Dr. Reinhard Hübner vor. Bei ihm hat der Abt Juhanna Aydin vom Kloster Mor Jakob von Sarug in Warburg studiert. Der Erzbischof kennt ihn selbstverständlich, kommt er doch auch aus dem Tur Abdin.

Nach kurzem Smalltalk überlässt Erzbischof Timotheus, immer noch ein wenig reserviert, die Gruppe einem Schüler mit dem Hinweis, das sei sein bester Klosterführer. Das Kloster hinterlässt vor allem bei mir einen guten Eindruck. „Das hat vor 30 Jahren hier noch ganz anders ausgesehen“, verkünde ich der Gruppe. Überrascht bin ich vor allem vom hervorragenden Zustand der Hauptkirche des Klosters. „Das war vor dreißig Jahren ein dunkles Loch“.

Die Stimmung des Erzbischofs hellt sich auf, als ich ihn beim abschließenden Treffen im Empfangsraum frage, was denn aus dem jungen dynamischen Abt des Klosters mit dem Clergyman geworden sei, der zuvor in New York studiert und mich und meine Gruppe damals so herzlich empfangen habe. Der Erzbischof lacht schallend und klopft mir auf die Schulter: „Der bin ich“, sagt er. „Mein Bart ist ein wenig grauer geworden“, fügt er lächelnd hinzu und zupft zufrieden am ihm. Er sitzt dabei auf einem prächtigen Stuhl neben dem etwas größeren Thronsessel, der für den Patriarchen reserviert ist. Dessen Bild hängt über der Eingangswand. Über dem Thron hängt neben dem Bild des Patriarchen auch eines vom türkischen Staatspräsidenten.

Während des Gesprächs taut der Erzbischof nach und nach richtig auf, zumal es glücklicherweise in Englisch geführt wird. Und als Ünal den Raum verlässt, um zu rauchen, gewinnt es an Deutlichkeit. Der Erzbischof nimmt nun kein Blatt mehr vor dem Mund. Und er macht einen resignierten Eindruck. Er verschweigt nicht, dass er mit der Lage der Christen in der Türkei nicht zufrieden ist. Von Gleichberechtigung könne keine Rede sein. Zu viele seiner Gläubigen haben die Gastarbeiterwelle genutzt und sind nach Westeuropa ausgewandert. Oft ganze Dörfer. „Einige kommen wieder, nicht nur zu Besuch, sondern sie bleiben hier“, sagt er mit Zufriedenheit in der Stimme. Das werde von den staatlichen Stellen auch gefördert. Nur, ihre Häuser seien inzwischen von anderen bewohnt. Von moslemischen Kurden vermutlich. Wie viele zurückkommen, sagt der Erzbischof nicht. Ginge es nach seinen Wünschen, wären es mehr. Auch die Frage nach der Zahl seiner Gläubigen bleibt unbeantwortet.

Wie er den Umbau gemanagt habe, frage ich ihn. Ich spiele dabei darauf an, dass in der Türkei an sich Umbauten und Restaurierungen von Kirchen nicht gestattet sind. „Wir haben es einfach gemacht“, antwortet der Erzbischof schmunzelnd. Er fügt hinzu: „Wir haben hier einen guten Gouverneur. Und in Midyat auch. Der sagt: Macht nur!“ Und der Erzbischof macht´s. - Da der Gouverneur vermutlich um den touristischen Wert des Klosters weiß, drückt er beide Augen zu, kann man vermuten. - Allerdings geschieht das alles ohne, dass der Staat einen einzigen Kurus beisteuert. Die Religionsbehörde in Ankara unterstütze nur die Restauration islamischer Gebäude, und zwar nur sunnitischer, sagt er beinahe ein wenig wütend. Für andere gebe es keine müde Lira, merkt er sauer an.

Ähnlich wird auch das Problem mit der Schule gelöst. Die wiederholten Bitten des Erzbischofs, im Kloster eine Schule errichten zu dürfen, um die Weitergabe des Glaubens wie der eigenen aramäischen Sprache zu sichern, wird konstant abgelehnt. Auf die erstaunte Frage einer Lehrerin, wozu man im Kloster dann vier Lehrer brauche, erwidert der Erzbischof, man habe im Kloster ein Internat für Jungen eingerichtet. Dorthin kämen sie zurück, wenn sie vormittags in Midyat die staatliche Schule besucht hätten. Am Nachmittag stünden die Lehrer „zur Nachhilfe“ bereit. Der Erzbischof muss das zweimal erklären, bevor bei den Bremer Lehrerinnen der Groschen fällt. Eine typisch orientalische Lösung. Jeder wahrt sein Gesicht.

Als ich ihn frage, ob und wie wir ihm helfen könnten, bricht es förmlich aus ihm heraus: „Fordert Gleichbehandlung!“ sagt er spontan und erläutert: „Wenn Ihr bei Euch Moscheen bauen lasst, fordert, dass die Kirche hier genauso behandelt wird“.

- In einem Schreiben an die Regierung in Ankara haben die Religionsführer der griechisch-, armenisch- und syrisch-orthodoxen Kirche jüngst gerade einen gesicherten Rechtsstatus gefordert, Priesterseminare sowie Gotteshäuser in allen türkischen Städten, in denen Christen leben. -

Er habe erst jüngst die Botschafter von den Niederlanden und anderer europäischer Länder bei Besuchen im Kloster ermutigt und gedrängt, darauf zu bestehen, dass die Türkei Touristenseelsorger ins Land lasse, erzählt der Erzbischof. „Die Regierung verweigert das“. Der Erzbischof scheint nicht zu wissen, dass der Drang der türkischen Regierung, in die EU aufgenommen zu werden, seinem Wunsch jüngst entsprach. Erstmals wurde einem deutschen Touristenseelsorger eine Arbeitserlaubnis gewährt, wie man nach der Rückkehr im Kirchenboten lesen konnte. Er musste nicht mehr unter dem Deckmantel des Diplomaten einreisen. Denn häufig agiert die Kirche unter diplomatischem Schutz, weil es anders nicht geht. 

Auf der Weiterfahrt in Richtung Diyarbakir gibt es noch einen Zwischenstopp im einstigen Christenviertel von Midyat. Das Städtchen bestand bis vor ein paar Jahrzehnten noch aus einem islamischen und einem christlichem Stadtteil. Zwischen beiden gab es eine unbebaute Fläche von rund einem halben Kilometer. Die existiert heute nicht mehr. Sie ist inzwischen zugebaut, denn auch der christliche Stadtteil wird nach dem Exodus der Gastarbeiter nicht mehr ausschließlich von Christen bewohnt. Bereits vor dreißig Jahren konnte ich dort eine Familie besuchen, an deren Wänden noch die christlichen Bilder der Vorbesitzer hingen. Die jetzigen Bewohner waren jedoch Moslems.

Wir besuchen von den vier Kirchen in Midyat lediglich die Mor Barsaumo-Kirche am Ortseingang. Sie ist eine der schönsten syrisch-orthodoxen Kirchen, die wir auf unserer Reise kennen lernen. Durch ein prächtiges Portal unterhalb eines filigranen Glockenturms geht es in einen basilikalen Raum, dessen Mittelschiffgewölbe mit einem großen dunklen Kreuz bemalt ist. Zu den Kostbarkeiten gehört ein silberbeschlagenes Evangeliar. Beim Gang zum Bus fällt mir der riesige Moscheeneubau auf, der direkt vor der Grenze zum ehemaligen Christenviertel entsteht. Hier werden architektonisch die Besitzverhältnisse klar gemacht.

Im Anschluss an den Kirchenbesuch, betreiben einige Lehrhäusler ihre ganz persönliche Form der Wirtschaftsförderung: Sie decken sich bei einem christlichen Goldschmied mit Silberschmuck ein. Das Feilschen darum wie das Warten darauf geht ein paar Puristen zeitlich wiederum zu weit.

Sie revanchieren sich, als bei Hasankeyf der Tigris überquert wird. Sie erkämpfen sich den zeitlichen Ausgleich fürs Warten beim Goldschmied, indem sie sich ganz persönlich intensiv mit Tigriswasser benetzen, während andere sich mit sehnsüchtigen Blicken von oben begnügen und mit lautem Rufen die Tigriswallfahrer zur Rückkehr ermuntern. Wie auch immer: Der Anblick des hier noch recht mickrigen Tigris nebst ruinierter antiker Brücke möge den Touristen zum Fotografieren oder zum Benetzen am Ufer noch lange erhalten bleiben. Wie der Direktor des Atatürkstaudamms behauptete, habe sich nämlich der Plan eines Tigrisstaudamms unterhalb von Hasankeyf bisher zerschlagen. Sein Wort in Allahs Ohr. Denn mit Hasankeyf würde ein Ort für immer unter Wasser versinken, der von den Römern als Grenzort zum persischen Reich gegründet wurde und dessen Brückenreste zumindest auf das 12. Jahrhundert zurückgehen. Vermutlich sind sie aber noch älter, wird sie doch 1116 bereits restauriert.

Eine angeblich römische Brücke über den Tigris können wir von den Stadtmauern von Diyarbakir in der Ferne ausmachen. Ihr Erbauer ist jedoch laut Prof. Dr. Hans Hollerweger der syrisch-orthodoxe Bischof Johannes Saoro von Amida (Diyarbakir), vormals Abt des Klosters Mor Gabriel.

In Diyarbakir selbst beeindrucken uns die beinahe komplett vorhandenen Stadtmauern aus schwarzem Stein, von deren Keci-Burcu Bastion am Mardin-Tor wir den Blick über das grüne Vorland zum Tigris schweifen lassen. Der in ein Hotel umgebaute Deliller Han lädt mit seinem schattigen Innenhof zu einer Trinkpause, bevor auf dem Rückweg im Dämmerlicht noch bewundernde Blicke die Ulu-Camii nebst der beinahe Renaissance-Fassade der Mesudiye Medrese treffen. Die Ulu-Camii selbst ist ein Beispiel für die anfängliche Toleranz der islamischen Eroberer. An dieser Stelle stand nämlich die von Kaiser Heraklios um 628 umgebaute St.-Thomas-Kirche aus dem Anfang des 5. Jahrhunderts. Wie in der Omajjadenmoschee in Damaskus nutzten Christen und Moslem die Kirche zunächst gemeinsam. Um 770 sollen die Christen ein Drittel und die Moslems zwei Drittel inne gehabt haben. Wie lange diese religiöse Koexistenz dauert, ist unklar. Klar ist jedoch, 1115 fallen 200 Säulen der Moschee um. Von Kirche ist damals nicht mehr die Rede. Die Moschee entsteht danach mit dicken Pfeilern neu. Zahlreiche Säulen schmücken hingegen die Wände der Bauten um den Moscheehof.

Eine syrisch-orthodoxe Marien-Kirche gibt es auch heute noch in Diyarbakir. Sie wurde jedoch Anfang 2003 „geplündert“, wie die syrisch-orthodoxe Zeitschrift „Mardutho D-Suryoe“ berichtet.

 

8 / 10