Mar Gabriel Verein - Mitteilungsblatt 2004


Patriarchen, Propheten, Mönche und Moslems

Türkeireise des Lehrhauses Bremen vom 11. bis 25. 10. 2003

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Dem ersten Christen auf unserer Reise begegnen wir unvermutet in Adiyaman. Weil wir darauf verzichten, den Nemrud Dagi schon vor Sonnenaufgang zu besteigen, muss die erste Hälfte des Tages gefüllt werden. Und da der anwesende Reiseagent ahnt, dass er die mit dem Besuch des etwas mickrigen Basars in Adiyaman nicht würde füllen können und der Ort zwar eine große Geschichte, aber nichts Weltbewegendes an Sehenswürdigkeiten zu bieten hat, hat er eine syrisch-orthodoxe Kirche ausfindig gemacht. Dass er sie uns zunächst als „armenische Kirche“ verkauft, tut der Sache keinen Abbruch. Der Agent verwechselt eben „Armenisch“ mit „Aramäisch“.

Unweit des Zentrums der Altstadt kurvt der Bus durch ein paar abenteuerlich enge Gassen, bevor er in der Nähe eines eisernen Tores hält, auf dem Kreuze von der Anwesenheit der Kirche künden. Es dauert nicht lange und das Tor wird von innen geöffnet. In einem kleinen Garten liegt die Kirche. Der Sohn des Priesters schließt sie auf und begrüßt uns. Wie alt die Kirche ist, lässt sich auf Anhieb nicht sagen. Glaubt man ihm, ist sie uralt. Jedenfalls ist sie gut in Schuss. In ihr lernen die meisten Mitreisenden erstmals die Besonderheiten einer syrisch-orthodoxen Kirche kennen: Den zum Mittelschiff hin abgehobenen Chor mit einer seitlichen Treppe. Den typischen Altar, der von einem apsisähnlichen Gebilde überdacht ist und dessen Platte stufenförmig nach hinten ansteigt. Auf den Stufen Kerzen, ein Kreuz, monstranzähnliche Gebilde und der mit einem Kelchvelum verdeckte Kelch nebst Patene. Vor dem Altar ein Pult mit dem aufgeschlagenem Evangeliar. Der Vorhang, der den Altarraum für eine Zeit lang während der Liturgie verdeckt, ist zur Seite gezogen. Auf Wunsch wird er geschlossen. Es ist einer von den typisch syrischen Batikarbeiten heimischer Provenienz mehr oder weniger naiver Art, von denen wir während unserer Reise noch eine ganze Reihe zu sehen bekommen. In der rechten Apsis steht ein weiterer Altar. Er wird benutzt, wenn an einem Tag zwei Gottesdienste gefeiert werden. Denn es ist Brauch, nur einen Gottesdienst pro Tag an einem Altar zu feiern. Die linke Apsis dient als Sakristei.

An der Säule zur Sakristei hängt ein orthodoxer Bischofsstab. Er hat keine Krümme an der Spitze, sondern zwei Schlangenköpfe. Sie biegen sich zur Mitte hin und umzüngeln die Weltkugel mit dem Kreuz. Sie erinnerten an die ehernen Schlangen aus dem Alten Testament, erläutert der Priestersohn. Deren Anblick bewahrte vor dem Bis der echten Schlangen, die sich dem Auszug der Israeliten aus Ägypten entgegenstellten.

Am nächsten Tag wird der Euphrat zunächst per pedes überquert; auf einer Euphratbrücke aus Beton unterhalb des Damms. Hier fließt der Euphrat so friedlich, als wenn er kein Wässerchen trüben könnte, wenn dieser hinkende Vergleich gestattet ist. Dabei sieht das untere Euphrattal 1914 die Tragödie der Vernichtung von hunderttausenden armenischer, syrischer und nestorianischer Christen. Der Fluss ist tagelang von Blut rot gefärbt und mit Leichen gefüllt, weil sich Christen vor ihren moslemischen Häschern freiwillig in die Euphratschnellen stürzen oder ihre Leichen von den türkischen Schlächtern in den Fluss geworfen werden.

Bibelkundige kombinieren den Euphrat augenblicklich mit Paradies, ist der Euphrat doch einer der vier Paradiesflüsse.

Ein paar Kilometer weiter lernen wir in Edessa, heute Urfa, die Königsresidenz des aramäischen Königreichs Osrhoene kennen. Es besteht hier 400 Jahre lang und deren 11 Herrscher tragen alle den Namen Abgar. Die letzten spärlichen Reste des einstigen aramäischen Staatsvolks dieses Königreichs begegnen uns Tage später in den syrisch-orthodoxen Kirchen und Klöstern in Mardin und dem Tur Abdin, dem Berg der Gottesknechte. - Ein Teil dieses „Staatsvolks“ kennen einige Bremer Reiseteilnehmer jedoch schon aus Delmenhorst. Denn dort haben sich syrisch-orthodoxe Gastarbeiter eines Dorfes aus der Nähe von Midyat ihre eigene Kirche gebaut. -

Mit dem Namen Abgar ist die Legende vom Mandylion, dem nicht von Menschenhand gemalten Bild Jesu, in Verbindung zu bringen. Es hing als Palladium vormals über einem Stadttor von Edessa. Von den alten Stadttoren stehen heute noch Reste. Ob auch das darunter ist, an dem das Mandylion hing, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Es geht der Legende nach auf König Abgar von Edessa zurück, der Christus bittet, zu kommen, um ihn von Krankheit zu befreien. Er erhält stattdessen ein Abbild. Dessen weiterer Weg ist bis Byzanz zu verfolgen. Ob es eventuell identisch mit dem Leichentuch von Turin ist, muss offen bleiben. Dass zunächst von einem Brief und dann von einem Bild die Rede ist, belegt Heidi Hübner mit Texten eines frühen Historikers.

Unser Hotel in Edessa ist gut gewählt. Es liegt in der Altstadt, direkt unterhalb der Burg. Es ist modern, aber im Stil den Altstadthäusern angepasst. Der Spaziergang nach dem Einchecken gleicht einem Schnellkurs in Ortsgeschichte. Und die hat eine Menge zu bieten, nicht umsonst wurde der Name der Stadt jüngst in Sanliurfa geändert: das „berühmte“ Urfa. Bleibt zu fragen, welches der berühmtere Teil der Stadtgeschichte ist, der mit dem Namen Edessa oder Urfa verbundene? Doch das ist vermutlich Ansichtssache.

Tritt man auf die Terrasse vors Hotel, fällt der Blick auf die Reste der Kreuzritterburg oben auf der gegenüberliegenden Felswand. Sie ruft den ersten Erfolg wie die erste große Niederlage im 1. Kreuzzug in Erinnerung: Im Jahre 1098 kann Balduin von Bouillon hier eine erste Grafschaft errichten. Mit deren Herrlichkeit ist es aber bereits 1146 vorbei, als Edessa durch Nur ed-Din von Aleppo erobert wird und er dabei ein Massaker anrichtet. Die Katastrophe von Edessa beantwortet Papst Eugen III. mit dem Aufruf zum 2. Kreuzzug und Bernhard von Clairvaux drängt die Könige von Frankreich und Deutschland, das Kreuz zu nehmen.

Gegenüber auf der anderen Straßenseite erreichen wir bald die Abrahamsgrotte. Eine lokale moslemische Überlieferung behauptet, der Stammvater Abraham sei in Edessa geboren. In seine Geburtsgrotte, heute unterteilt in eine Abteilung für Frauen und Männer, strömen Pilger wie Touristen. Es ist jedoch nicht der Duft der Heiligkeit, der hier verströmt wird, sondern eher der des Schweißes der nackten Füße, der sich in den Teppichen festsetzt. Schnell wieder raus, heißt die Devise, denn auch draußen kann man sich daran erinnern, dass Abraham nicht nur Juden und Christen, sondern auch Moslems heilig ist. Davon kündet auch die schöne Dersa-Moschee nebenan, angeblich von Sinan erbaut. Sie steht vermutlich an der Stelle der mittelalterlichen Erlöserkirche. Folgt man den in schwarze Kopftücher eingehüllten Frauen und den anderen Pilgern, so gelangt man zum Birket Ibrahim, dem Teich Abrahams. Nach einer anderen islamischen Legende macht Abraham hier auf seinem Weg von Ur in Chaldäa nach Harran Rast. Er wird auf einen Scheiterhaufen geworfen. Doch Gott lässt zwei Seen entstehen, um den Scheiterhaufen zu löschen und Abraham zu retten. Die Karpfen im See symbolisieren die Reste der Holzkohle. Sie sind daher heilig.

Heilige Orte sind auch die beiden Moscheen am Birket Ibrahim. Dabei kann die eine weder vom Namen noch von ihrem Aussehen her ihre Vergangenheit als Kirche leugnen. In der Yesil Kilise (Kilise = Kirche) genannten Moschee haben wir vermutlich die einstige Marienkirche nebst Baptisterium vor uns. Das unterstreicht auch deren Minarett. Denn das war unübersehbar einst ein Kirchturm. Und die gegenüberliegende Ridwaniye Moschee aus dem 17. Jahrhundert, könnte dort stehen, wo einst die St.-Thomas-Kirche stand. Der Apostel Thomas soll nämlich seinen Jünger Thaddäus, lokal Addai genannt, in diese Gegend zum Missionieren geschickt haben. Nach seinem Märtyrertod in Indien hätten seine Jünger die Gebeine des Heiligen Thomas dann Anno 394 in jene Kirche überführt, berichtet die lokale Legende.

Nach einer anderen Kirche sucht Margret Olesch vergeblich. Sie hätte gern gewusst, wo die armenische Kirche stand, in die die Armenier Urfas anlässlich der „Endlösung“ 1914 gepfercht wurden, bevor man die Kirche ansteckte. Vera und Hellmut Hell vermuten sie an Stelle der Firfili Moschee am Westrand der Stadt.

Heute ist die Altstadt ein Gewirr von engen Gassen mit kleinen alten Moscheen, einem Basar und einer Karawansarei, deren Innenhof von älteren Männern zum Tschaitrinken und Dominospiel genutzt wird.

In einem prächtigen Altstadthaus nehmen wir unser Abendmahl ein. Das Haus ist, wie im Orient üblich, nach außen geschlossen und gruppiert sich um einen Innenhof. Für uns Europäer ist in einem Gewölbe eine Tafel gedeckt, an der wir auf Stühlen sitzen können, während die Türken ihr Mahl auf Teppichen und Kissen im Schneidersitz hockend in der luftigen ersten Etage einnehmen.

Luftig geht es auch beim Abendessen des nächsten Tages zu; zu luftig, denn das Essen lässt auf sich warten und der kälter werdende Luftzug hinterlässt bei mir Schnupfen, bei ein paar anderen den Fluch Allahs.

Von der Katechetenschule, die Ephräm der Syrer hier im vierten Jahrhundert gründete, steht natürlich nichts mehr. Für Papst Benedikt XV. ist das Wirken dieses ostchristlichen Theologen dennoch so bedeutend, dass er ihn 1920 zum Kirchenlehrer erhebt; in der römisch-katholischen Kirche wohl gemerkt.

Eine Kirche gibt es in Urfa heute nicht mehr. Die letzte syrisch-orthodoxe Kirche wurde erst kürzlich in eine Moschee umgewandelt, wie Ünal in Erfahrung bringt. In der Zeitschrift Mardutho D-Suryoye heißt es jedoch, sie sei in eine Tabak- und Weinfabrik umfunktioniert worden. Wie auch immer, mit der Gastarbeiterwelle seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wandert die Gemeinde nach und nach aus, bis auch der letzte syrisch-orthodoxe Christ die Stadt verlassen hat.

Um eine Wanderung ähnlicher Art geht es auch beim Besuch in Harran. Denn biblischer Überlieferung nach kommt Abraham, der Stammvater des Volkes Israels und der Vater des Glaubens samt seiner Sippe bei seiner Wanderung von Ur in Chaldäa in das gelobte Land nach Harran. Er kommt nicht allein, sondern mit Vater Terach, ein Sohn des Sem. Die ganze Sippe, inklusive Abraham und Sara, lässt sich hier vorübergehend nieder. Terach stirbt sogar in Harran.

In Harran erfolgt auch laut Altem Testament die Berufung Abrahams durch Jahwe, während die Apostelgeschichte sie nach Ur in Chaldäa verlegt. In Harran also verheißt Gott dem Abraham, er werde ihn zu einem großen Volk machen und „durch Dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“. Karl Küpper liest den entsprechenden Abschnitt aus dem Alten Testament in einer kühlen Halle der Zitadelle von Harran vor. Draußen herrscht Wüstenklima; 35°. Kein Wunder, dass das Beduinenzelt auf dem Burggelände bald frequentiert ist. Die Männer schlürfen Tschai, die Frauen kaufen bunte Tücher, außerdem erinnert´s ein wenig an Abraham, den Beduinen.

Das Zelt ist auch eine letzte Reminiszenz an die Zeit, als Harran ein bedeutender Ort an der Karawanenroute von Mesopotamien nach Kappadokien, Syrien, Palästina und Ägypten ist. Nach hier sendet Abraham seinen Knecht, um für seinen Sohn Isaak eine Frau zu suchen (1. Mose 24,4). Und auch der dritte Stammvater, Jakob, hat noch eine Beziehung zu Harran: Denn vor seiner Flucht vor Esau geht Jakob ebenfalls nach Harran.

Ja, für kurze Zeit wird Harran gar Hauptstadt des assyrischen Königreichs, als Ninive von den Medern und Chaldäern erobert wird. Und Hesekiel erwähnt sie als eine Stadt, die mit Tyrus Handel treibt.

Von der einstigen Größe der Stadt künden nur noch die arg ramponierte Burg, angeblich an der Stelle eines Mondtempels errichtet, die teilweise erhaltene Stadtmauer mit sieben mehr oder weniger gut erhaltenen Toren und auf dem riesigen Ausgrabungsgelände die imposanten Reste der Großen Moschee, eine Gründung der Omajjadenzeit mit quadratischem Minarett. Hier stand einst auch eine der frühen Universitäten der Menschheit. Das hohe Minarett diente dabei ab Observatorium.

Das für touristische Zwecke instand gesetzte Bürgermeistergehöft vermittelt eine Ahnung davon, wie man ohne Holz dennoch Häuser bauen kann. Dazu noch welche mit natürlichem Aircondition. Es sind die in Apulien Trulli genannten Häuser. Ihr Dach besteht aus Lehmziegeln, die zu einer spitzen Kuppel übereinander geschichtet werden. Ein Loch in der Mitte sorgt für die nötige Kühle im Sommer.

Eine lokale Überlieferung verlegt auch den Verkauf Josephs durch seine Brüder nach Harran. Eine alte Zisterne am Rande der Stadt dient dafür als Beweis. Die Hitze hat den meisten von uns aber so zugesetzt, dass sie den Bus nicht einmal mehr für ein Foto verlassen mögen. Sie haben nur noch einen Wunsch: Zurück zum Hotel! Vorbei an den mit Euphratwasser geschaffenen Baumwollfeldern geht es dann ohne Zwischenstopp zurück nach Edessa. Dabei erfahren wir aber noch, was die Äbtissin Etheria aus Spanien Ende des vierten oder Anfang des fünften Jahrhunderts in dieser Gegend sah. Heidi Hübner hat den Text mitgebracht.

Auf dem Weg nach Mardin fährt der Bus am nächsten Morgen an dem Neubau einer Universität vorbei, die die Tradition der alten Lehrstätte von Harran wieder aufnimmt: Sie nennt sich „Harran-University“, wie groß über dem Eingangstor zu lesen ist.

Bevor der Bus nach rund 170 km nach Mardin links abbiegt, taucht ein bekannter Name auf einem Straßenschild auf: Nusaybin: Es ist das alte Nisibis an der syrischen Grenze, einst Geburtsort und frühe Wirkungsstätte von Ephräm dem Syrer, bevor er vor den Sassaniden nach Edessa flieht.

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