Mar Gabriel Verein - Mitteilungsblatt 2004
Einsatz für die Traditionen seines
Volkes: RAPHAEL BIDAWID
PATRIARCH DER CHALDÄER 1989 - 2003 +
Helga Anschütz
„Sie müssen
unbedingt Dr. Raphael Bidawid, den chaldäischen Bischof in
Beirut, besuchen. Er ist einer der besten Kenner der
ostsyrischen Kirchengeschichte und alten Handschriften!“
Das empfahl mir Prof. Dr. P. de Boer, ein bekannter
Wissenschaftler der Universität Leiden, der mehrere Werke über
das Alte Testament veröffentlicht hatte, besonders über die
„PESCHITTA“, die Bibel der syrischen Christen.
Wir trafen uns 1967 im Haus des damaligen assyrischen Bischofs
und heutigen Patriarchen der Apostolischen Kirche des Ostens,
Mar Denkha, in Teheran. Bidawid war schon damals darum bemüht,
die zerstrittenen syrisch-aramäischen Kirchen nach längeren
Streitigkeiten wieder zusammen zu führen, besonders auf der
Grundlage der gemeinsamen Traditionen von Kultur und Sprache.
Nach seinem Theologie- und Philosophie-Studium in Rom
promovierte er dort über die Epoche des Katholikos Timotheos I,
einem bedeutenden Kirchenführer der "Apostolischen Kirche des
Ostens", der sich im 9. Jh. in der Zeit der abbassidischen
Kalifen in Bagdad besonders für einen christlich-islamischen
Dialog eingesetzt hatte. In diesem Sinne wirkte Bidawid auch als
Kirchenführer im Nahen Osten, bis zu seinem Tod, im Irak. Nach
seinem Studium kehrte Bidawid zunächst in seine Heimatstadt
Mossul zurück und unterrichtete dort Theologie und Französisch.
1977 wurde er jüngster irakischer Bischof in Amadiya/Nordirak,
und in diesem Traditionsland der syrisch-aramäischen Kirchen und
Klöster richtete er Büchereien ein und sammelte alte syrische
Handschriften, die in alten Gemäuern Kriege und Raubzüge der
Kurden in den vergangenen Jahrhunderten überstanden hatten.
Leider wurden seine Bemühungen um die Rettung der wertvollen
syrischen Handschriften mit erneuten kurdischen Aufständen bald
durch Brandschatzung zunichte gemacht. Das hat den Bischof tief
getroffen.
1966 baute Bidawid ein neues Bistum in Beirut auf und widmete
sich dort dem interreligiösen Dialog und internationalen
Beziehungen. 1994 trug er wesentlich zu einer Einigung der
syrischen Kirchen bei, als der Patriarch der Apostolischen
Kirche des Ostens, Mar Denkha und die katholische Kirche eine
gemeinsame christologische Deklaration als Vorbereitung für die
Einheit der chaldäischen und der assyrischen Kirche
unterzeichneten. Die Tradition des Zusammenlebens der
verschiedenen Religionsgruppen im Irak hat Bidawid nach seiner
Wahl zum chaldäischen Patriarchen von Babylon im Mai 1989
fortgesetzt und im Sinne des Religionsfriedens den Dialog mit
Sunniten, Schiiten, Jesiden, Mandäern und den Anhängern der
säkular eingestellten Baath-Partei nicht abreißen lassen. Das
kam dem Bestand seiner Kirche im Irak mit ca. 700.000 Anhängern
zugute. Auch in den schwierigen Zeiten der Kriege riss sein
Kontakt zur übrigen Welt nicht ab. 1992 nahm er u.a. an dem
Seminar „Gott am Golf“ der Evangelischen Akademie in Segeberg,
der Katholischen in Hamburg und dem Deutsch-Libanesischen Verein
in Reinbek bei Hamburg mit Vorträgen über die Situation der
Christen im Irak teil, zusammen mit dem syrisch-orthodoxen
Erzbischof Mar Gregorius Saliba von Mossul. Anschließend setzten
sie ihre Vortragsreisen und Besuche in Deutschland fort. Wegen
seiner schweren Krankheit konnte er den Ausbruch des letzten
Golfkriegs nicht mehr miterleben und sich daher nicht mehr
schützend vor sein Kirchenvolk stellen. Sein Nachfolger,
Patriarch Delli, vorher chaldäischer Bischof von Bagdad, hat ein
schweres Erbe übernommen.
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