Mar Gabriel Verein - Mitteilungsblatt 2004
Die Sprache und ihre Stellung
bei den Christen im Orient
Shabo Talay
10 – 15 Mio.
Christen leben heute in den Staaten des Nahen Ostens, zwei
Drittel davon in Ägypten. Sie gehören einer Vielzahl
orientalischer und westlicher Kirchen an, mit bisweilen bis in
die frühe Zeit des Christentums zurückreichenden Riten und
Gebräuchen. Seit dem Aufkommen des Islams und seiner Ausbreitung
über den ganzen Nahen und Mittleren Osten ist das Christentum im
Rückzug begriffen. Heute sind fast nur noch in den größeren
Städten des Orients einheimische Christen anzutreffen. In
ländlichen Gegenden konnten sie sich nur in Gebirgsregionen
außerhalb der alten Handelsrouten zum Teil bis heute halten .
Neben ihrem Glauben haben die orientalischen Christen viele
andere Ei-gentümlichkeiten in ihrem islamischen Umfeld bewahrt.
Zu den wichtigsten von ihnen gehört zweifellos die Sprache, die
bei einigen christlichen Gruppen zum Symbol der eigenständigen,
ethnischen und sogar nationalen Identität geworden ist. Durch
den immer stärker werdenden Assimilations- und auch
Auswanderungsdruck, ist der Fortbestand der geschlossenen
christlichen Gemeinschaften im Orient und damit ihrer zum Teil
einzigartigen Sprachen und Dialekte stark gefährdet. Deshalb
möchte ich in diesem Beitrag, auf die sprachliche Situation der
orientalischen Christen eingehen und Besonderheiten ihrer
Sprache aufzeigen. Dabei werde ich mich auf die Sprache der
Christen in den Ländern Syrien, Libanon, Irak, Iran und der
Türkei beschränken und ein besonderes Augenmerk auf die von
einem Teil der Christen gesprochene aramäische Sprache richten.
Beim Arabischen, das von den meisten orientalischen Christen
gesprochen und auch als Liturgiesprache verwendet wird, soll nur
auf solche Dialekte eingegangen werden, die typisch christliche
Züge aufweisen.
Das Aramäische in verschiedenen Dialekten war bis zur
islamisch-arabischen Eroberung der Region die bedeutendste
Sprache der Christen in den oben genannten Ländern. In der Form
des ostaramäischen Dialekts des kleinen Königreichs von Edessa
entwickelte sich das Aramäische mit der Verbreitung des
Christentums im mesopotamischen Raum, fortan Syrisch genannt,
zur christlichen Sprache schlechthin. Dies führte dazu, dass
heute noch von den aramäischsprachigen Christen die beiden
Begriffe „syrisch“ und „christlich“ als Synonyme gebraucht
werden. Daneben sprachen die Anhänger der byzantinischen
Reichskirche, die Melkiten (< syrisch: malkāyē ), in der
levantinischen Küstenregion zum Teil Griechisch, die
christlich-arabischen Stämme Arabisch und die Armenier
Armenisch. Das Syrische diente als Liturgiesprache in den
Kirchen des Orients weit über sein ursprüngliches
Verbreitungsgebiet hinaus. Bisweilen soll es in der Frühzeit der
orientalischen Kirchen auch in der orientalisch-byzantinischen
und armenischen Kirche als Liturgiesprache verwendet worden
sein.
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die sprachliche Situation
umgekehrt. Die meisten orientalischen Christen sind inzwischen
arabischsprachig und die Mehrzahl ihrer Kirchen hat das
Arabische als Liturgiesprache in ihren Gottesdiensten
eingeführt. Alte syrisch-aramäische bzw. griechische
Inschriften, Evangeliare und andere Bücher dienen vielerorts nur
noch als Dekoration und die wenigsten können sie lesen.
Zur heutigen sprachlichen Situation orientalischer Christen
Wie oben bereits erwähnt, spricht heute die überwiegende
Mehrheit der Christen zu Hause arabisch. Die Christen aber, die
noch ihre traditionelle Sprache, wie das Armenische bzw.
Aramäische, in ihrer Gemeinschaft bewahrt haben, sind zumindest
zwei-, häufiger aber mehrsprachig. In den arabischen Ländern
sprechen alle zusätzlich auch arabisch, im Iran persisch und in
der Türkei türkisch. In den kurdischen Gebieten sprechen die
Christen nicht selten auch kurdisch. Im Einzelnen sprechen sie
als Muttersprache folgende Sprachen:
In den arabischen Staaten sprechen die Anhänger der
rum-orthodoxen und -katholischen Kirchen alle arabisch. Die
Arabisierung hat bei den Anhängern dieser Kirchen früh Einzug
gehalten und die Identifikation mit dem Arabischen ist heute bei
ihnen am stärksten ausgeprägt. Die meisten verstehen sich heute
als ein Teil der arabischen Nation und bezeichnen sich als
„arabische Christen“. Nur in Ma´lula, einem Ort mit rund 3000
Einwohnern, 60km nördlich von Damaskus, dessen Bewohner zu 70%
den beiden byzantinischen Kirchen angehören, sprechen sie heute
noch aramäisch zu Hause und bezeichnen sich gerne als Aramäer.
Auch die rum-orthodoxen Christen der Provinz Hatay (Antiochien)
in der Türkei sprechen arabisch . Seit der Zugehörigkeit der
Provinz zur Türkischen Republik im Jahre 1939 stehen sie zwar
unter einem starken Türkifizierungsdruck, jedoch wird dort heute
noch die arabische Tradition bewahrt und arabisch gesprochen,
auch wenn das Türkische als offizielle Sprache das Arabische
immer mehr aus dem Alltag der Antiochier zu verdrängen scheint.
Die Kirche hängt noch am Arabischen als Liturgiesprache, obwohl
nur ganz wenige Menschen Kenntnisse im schriftlichen Arabisch
aufweisen, weil jeglicher Unterricht in arabischer Sprache
fehlt.
Die Maroniten sind nicht minder stark arabisiert, jedoch pflegte
und pflegt heute noch die maronitische Kirche das aramäische
Erbe und hat einige syrische Passagen in der Liturgie bewahrt.
Als erste Sprache sprechen die Maroniten aber durchgehend
arabisch, auch wenn hier und da bei den bourgeoisen Familien des
Libanons, nicht nur Maroniten, als Relikt der guten Beziehungen
zu Frankreich, heute noch französisch geredet wird. Ähnliches
ist auch bei den Christen in Aleppo zu beobachten . An der
arabischen kulturellen Renaissance im 19. Jh. „annahæa“, hatten
die Maroniten einen erheblichen Anteil. Durch die Betonung des
„Arabischen“ sollten religiöse Unterschiede marginalisiert und
damit die religiösen Konflikte mit den Muslimen überwunden
werden. Während des letzten Bürgerkrieges gab es unter den
Maroniten im Libanon immer wieder Stimmen, die eine Rückkehr zur
aramäischen Kultur und Sprache forderten. Die überwiegende
Mehrheit identifiziert sich jedoch mit der arabischen Sprache
und Kultur, auch wenn darin das libanesische Charakteristikum
stark betont wird. Unter vielen „arabischen Christen“ bzw.
„christlichen Arabern“ (nach Kamal as-Salibi ) ist die Tendenz
zu beobachten, den von ihnen gesprochenen arabischen Dialekten
eine höhere Bedeutung zu zugestehen, als die muslimischen Araber
dies tun.
Die syrischen Kirchen, die syrisch-orthodoxe,
syrisch-katholische, assyrisch-apostolische und chaldäische
Kirche, haben das Syrische als Kirchensprache bewahrt und ihre
Anhänger sprechen zum Teil heute noch verschiedene Dialekte des
Aramäischen. Bei den Anhängern dieser Kirchen muss zwischen
denen, die historisch in den arabischen Gebieten und denen, die
in den nördlichen Randgebieten der arabisch-islamischen Welt
lebten, unterschieden werden. In den arabischen Gebieten war die
aramäische Sprache schon kurz nach den ersten arabischen
Eroberungszügen aus dem Alltag verdrängt worden. Sie konnte sich
dagegen am Rande der arabisch-islamischen Welt, in den
Gebirgsregionen Obermesopotamiens und angrenzenden Gebieten, die
den syrischen Christen von Anfang an als Rückzugsgebiete
dienten, gegen andere Sprachen zum Teil bis heute behaupten.
Seit den Repressalien in der zweiten Hälfte des 19., und
insbesondere seit dem Holocaust an den in den östlichen
Provinzen des osmanischen Reiches lebenden Christen zu Beginn
des 20. Jhs. , wurden die aramäischsprachigen Christen aus ihrer
angestammten Heimat vertrieben und in die ganze Welt verstreut.
Viele der von diesen Christen gesprochenen aramäischen und
arabischen Sprachen und Dialekte sind dabei undokumentiert der
Menschheit verloren gegangen. Aufgrund der schwierigen
Verhältnisse in der Südosttürkei haben ab den sechziger Jahren
des 20. Jhs. auch die Überlebenden des „Jahres des Schwertes“,
wie die Zeit der Christenverfolgung während des Ersten
Weltkriegs bei den Betroffenen genannt wird, ihre Heimat in
Richtung Westeuropa wohl für immer verlassen. Diese Auswanderung
in die europäischen Länder hat zur Folge, dass in der Osttürkei
nur noch zwei bis drei Tausend Christen mit aramäischer Sprache
zurückgeblieben sind. Außerhalb der Heimat konnte und kann sich
die Sprache nur bedingt halten. So wird das Aramäische in
Qamishli, einer Stadt in Nordostsyrien, wo Tausende syrische
Christen leben, durch das Arabische immer mehr aus dem Alltag
verdrängt, obwohl dort die massivsten Anstrengungen unternommen
wurden, die Sprache zu schützen und zu fördern. Ähnlich ist es
in den anderen Großstädten in der arabischen Welt, in die die
Christen geflüchtet waren, wie Mossul, Bagdad, Aleppo, Damaskus,
Beirut, Amman und Jerusalem. Folgendes Beispiel verdeutlicht die
allmähliche Erosion der aramäischen Sprache der Flüchtlinge in
den Großstädten: In Bagdad lebte traditionell eine große
chaldäische Gemeinde, die schon lange arabischsprachig war .
Nach dem von Mustafa Barzani geleiteten Kurdenaufstand von 1961
flüchteten Tausende aramäischsprachige Chaldäer aus dem Nordirak
nach Bagdad. Die Flüchtlinge integrierten sich bald in die
bereits bestehende, aber gänzlich arabisierte chaldäische
Gemeinde und gaben in kürzester Zeit ihre Sprache zu Gunsten des
Arabischen auf. Ähnlich stark war der Einfluss der
Zwangsumsiedlungen der Christen aus ihren Dörfern im Nordirak,
die in den siebziger und achtziger Jahre von der irakischen
Führung in Bagdad durchgeführt wurden, auf die dort gesprochene
aramäische Sprache. Die Anhänger der apostolischen Kirche des
Ostens, die Assyrer, erlitten das gleiche Schicksal, jedoch
verhinderte das unter ihnen seit den Jahren vor dem Ersten
Weltkrieg vorherrschende nationale Selbstverständnis eine
Anpassung an die arabische Umgebung in den Großstädten des Irak.
Das gleiche Phänomen ist bei den Assyrern auch in anderen
Staaten des Orients, aber auch im westlichen Ausland zu
beobachten. Sie stellen die einzige christliche Gruppe im Orient
dar, bei der sowohl in der Kirche als auch im alltäglichen Leben
die Stellung des Aramäischen als erste Sprache bewahrt wurde.
Die syrisch-orthodoxen, -katholischen bzw. -protestantischen
Christen, die ursprünglich aus den aramäischsprachigen Gebieten
im Tur Abdin (Südosttürkei) bzw. den Ortschaften in der Umgebung
von Mossul stammen, haben sich in den arabischen Staaten stark
an die Umgebung angepasst, sprechen aber noch mehrheitlich
aramäisch. Die Gottesdienste in den arabischen Staaten werden
dagegen zumeist in arabischer Sprache gehalten, und in nur noch
einigen wenigen Passagen des Gottesdienstes kommt die Sprache
der Kirchenväter zur Verwendung. Kurdisch sprechen Anhänger
syrischer und auch armenischer Kirchen, die ursprünglich aus den
mehrheitlich kurdischen Gebieten der Osttürkei, Bohtan und
Beşiri stammen. Nach den Ereignissen des Ersten Weltkriegs hat
sich eine große Anzahl von ihnen im Nordosten Syriens und im
Libanon niedergelassen. Genauso sprechen zum Teil heute noch
viele Armenier und syrische Christen, die unter anderem aus der
Region der türkischen Städte Urfa, Erzincan und Sivas stammen,
in den Großstädten des Orients, besonders in Aleppo, türkisch.
Bisweilen werden sogar Gottesdienste in türkischer Sprache
gehalten .
Im Gegensatz zu allen anderen christlichen Denominationen werden
die Armenier in allen arabischen Staaten und im Iran auch als
eine nationale Minderheit angesehen. Deshalb wird ihnen fast
überall das Recht zuerkannt, ungehindert die eigene Sprache und
Kultur zu pflegen. Sie verfügen über zahlreiche Einrichtungen
und Organisationen, in denen sie ihre Sprache unterrichten. Dies
hat aber zur Folge, dass die Armenier zwar ihre Sprache gut
beherrschen, aber beispielsweise das Arabische nur gebrochen
sprechen . Die Pflege der Sprache und Kultur ist bei den
Angehörigen der armenisch-katholischen und -protestantischen
Kirche weniger ausgeprägt. Vielerorts (so in Bagdad und Mossul)
ist bei diesen Armeniern Arabisch die gemeinsame Sprache
geworden. Auch die Gottesdienste werden in arabischer Sprache
gehalten.
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