Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 2002
Die
Assyrer in Georgien
- Tamar Gurdschiani, Tiflis -
Der
Überlieferung nach gab es schon sehr früh
kulturelle und politische Beziehungen zwischen
Mesopotamien und Georgien. Das bezeugen aramäische
Inschriften, die teilweise aus dem 5. Jh. v. Chr.
stammen und überwiegend in Ostgeorgien
ausgegraben worden sind.
Die heutigen Assyrer ließen sich allerdings verhältnismäßig
spät, d.h. im 18./19. Jh. in Georgien nieder.
Auch wenn schon im 6. Jh. n. Chr. dreizehn
syrische Geistliche nach Georgien kamen, und dort
mehrere Klöster gründeten, deren Aktivitäten
eine bedeutende Rolle im geistlichen Leben des
georgischen Volkes spielten - einige von ihnen
bestehen bis zum heutigen Tag und führen das klösterliche
Leben weiter, - gibt es keine direkte Verbindung
zu der späteren Aufnahme von Assyrern in
Georgien.
Die heute in Georgien lebenden Assyrer sind
hauptsächlich aus dem türkisch-iranischen
Grenzgebiet ausgewandert. Es ist möglich, dass
die erste Einwanderungswelle Ende des 18. Jhs.
stattgefunden hat. In dieser Hinsicht ist die
Korrespondenz zwischen dem König Irakli II (1720-1798)
von Georgien und dem assyrischen Katholikos-Patriarchen
Mar Shimon aus dem Jahre 1770 interessant. Aus
dem Brief Mar Shimons ergibt sich, dass sich die
Assyrer zu dem christlichen Volk der Georgier
hingezogen fühlten, sich mit den Georgiern
vereinigen und in ihrem Land niederlassen wollten.
Bedrängt von der muslimischen Umgebung drückten
sie ihren Wunsch aus, nach Georgien zu kommen und
zusammen mit den Georgiern in den Krieg gegen die
Türken zu ziehen. Mar Shimon stellte dem König
ein Söldnerheer von zwanzigtausend Assyrern zur
Verfügung. Es muss erwähnt werden, dass laut
dieser Urkunde, die geistlichen und weltlichen Führer
der Assyrer schon seit einem Jahr, d.h. 1769, die
Erlaubnis erbeten hatten, sich in Georgien
niederzulassen. Die Antwort des Königs ist
leider nicht erhalten. Im Brief, entstanden am
Hof des georgischen Königs, gerichtet an den
russischen Grafen Nikita Panin, ist von den
Assyrern und ihrem Wunsch die Rede, sich auf
georgischem Boden anzusiedeln. Wir wissen nicht
genau, ob ihre Einwanderung in Georgien, wo
Irakli II herrschte, unmittelbar auf diesen
Briefwechsel folgte, aber es ist sicher kein
Zufall, dass die assyrischen Dörfer in
Ostgeorgien anzutreffen sind.
Nach den letzen statistischen Angaben leben heute
ca. 9.000 Assyrer in Georgien, hauptsächlich in
der Hauptstadt Tiflis, in Ostgeorgien, in den Städten
Gardabani und Rustawi, im 30 km von der
Hauptstadt entfernt gelegenen Dorf Kanda (dessen
Bewohner sind zu 80% Assyrer aus dem Urmia-See-Gebiet
und sprechen immer noch den Urmia-Dialekt). Das
Dorf wurde Ende des 19., Anfang des 20. Jhs. gegründet
und umfasst heute 300 assyrische Familien. Der
erste Teil der Anwohner soll sich dort vor dem
ersten Weltkrieg angesiedelt haben, der zweite
nach dem Krieg.
Die Assyrer, die Ende des 19. Jhs. nach Tiflis
kamen, stammten alle aus Salamas (Iran). Es waren
Händler und Handwerker oder es waren Studenten,
die an den Seminaren in Tiflis studieren wollten.
Damals war Tiflis das wirtschaftliche und
gesellschaftliche Zentrum des russischen
Zarenreiches im Kaukasus. 1895 gab es in Tiflis
eine assyrische Kirche, die von einem Pfarrer
betreut wurde und eine Schule. Dort wurde auch
eine Zeitung mit dem Namen "Madenxa" (Der
Osten) in neusyrischer Sprache herausgegeben. Zur
damaligen Zeit gab es in Tiflis schon eine
Diaspora von ca. 5.000 Assyrern. Der zweite Teil
der Assyrer, meistens aus Jilu im Hakkarigebirge
(Jilway) kam nach dem 1. Weltkrieg nach Tiflis.
Nach dem Kriegsausbruch in der Türkei hatte der
assyrische Patriarch Mar Shimon Benjamin den Türken
den Krieg erklärt; nach der Vertreibung sind
1915 die Jilu-Assyrer in den Iran geflohen. Sie
konnten wegen der Hungersnot und dem Mangel an
Waffen nicht mehr gegen die türkisch-kurdischen
Truppen kämpfen. Im Iran blieben sie bis 1918.
Nach der Revolution in Russland siedelten sie
sich in Georgien an.

Klosteranlage von Garedji, Georgien
Schon
während des 1. Weltkrieges gab es in Tiflis ein
"Komitee zur Unterstützung der assyrischen
Flüchtlinge", das von Assyrern und
Georgiern gemeinsam gegründet worden war. Aus
Urmia zog das "Nationale Assyrische Komitee"
nach Tiflis, das von dem berühmten Politiker aus
Salamas, Predon Aturai, geleitet wurde. So wurde
Tiflis für fünf Jahre zum gesellschaftlichen,
kulturellen und politischen Zentrum der Assyrer
vor der Sowjetisierung Georgiens im Jahre 1921.
Nach 1921 wurde der Verein "Xayata"
gegründet, dessen Ziel die Propagierung der
sowjetischen Macht unter den Assyrern war. Zur
damaligen Zeit gab es in Tiflis drei assyrische
Schulen, deren Unterrichtssprache Russisch und
Assyrisch war; Lehrbücher wurden in syrischer
Sprache gedruckt; es wurde eine syrische Zeitung
- "Koxvet Madenxa" herausgegeben. Während
der Stalin-Repressionen im Jahre 1937 wurde ein
großer Teil der assyrischen Intelligenz nach
Sibirien umgesiedelt; das einfache Volk aber
erlitt die Repressionen erst viel später, 1948-1949,
als viele Assyrer nach Kasachstan und Sibirien
deportiert wurden; erst 1954 durften sie nach
Georgien zurückkehren. Viele von ihnen hatten
die georgische Sprache vergessen und mussten
Schwarzarbeit annehmen. So bekamen sie das
Monopol über einige Handwerkerberufe wie
Malermeister, Schreiner, Schuhputzer usw.
Im Wandel der Zeit haben viele Assyrer das Land
verlassen. Sie sind aus wirtschaftlichen Gründen
nach Russland oder Europa ausgewandert, aber es
gibt immer noch Stadtteile in Tiflis, die hauptsächlich
von den Assyrern bewohnt sind (Kukia, das sog.
Assyrische Viertel, hier leben Assyrer aus zehn Dörfern
im Van-Gebiet, das man Timur nennt; daher der
Name Timurnaye), Vake (Assyrer aus Jilu), Vera (Assyrer
aus Salamas, Urmia). In Westgeorgien leben zum größten
Teil die Assyrer aus Txuma, ein paar Familien aus
dem Tiari-Gebiet und Bohtan. In Gardabani, einer
kleinen Stadt in Ostgeorgien, haben sich Flüchtlinge
aus den drei assyrischen Dörfern Ruma, Bor und
Svata aus dem Bohtan-Gebiet, angesiedelt.
Assyrische Gemeinden gibt es auch in anderen Städten
Westgeorgiens, in Kutaisi, Batumi, Senaki,
Zugdidi. Die Assyrer in Georgien behielten ihre
Muttersprache in verschiedenen Dialekten des
Neuaramäischen bei. Das sind die neuostaramäischen
Dialekte aus Urmia, Salamas (Iran), Bohtan, Jilu,
Van (Türkei) und Txuma.
1996 kam eine Mission der Assyrischen Kirche nach
Georgien. Seitdem versammeln sich Assyrer
unterschiedlicher christlicher Konfessionen (Nestorianer,
Katholiken, Orthodoxe) jeden Sonntag zwischen 10.00-12.00
zum Gottesdienst in einer katholischen Kirche in
Tiflis. Laut dem Vize-Präsident des Assyrischen
Kongresses in Georgien, David Abramow, ist für
die Assyrer diese Kirche die Verkörperung ihrer
nationalen Gefühle und ein wichtiger kultureller
Treffpunkt. Der Gottesdienst wird vom Vater
Benjamin Bet-Jadgar, einem iranischen Assyrer, in
der neuaramäischen Sprache durchgeführt; im
Rahmen der Mission sind zwei Nonnen aus dem Irak
gekommen, die den assyrischen Kindern syrische
Gebete und Lieder beibringen, alten und bedürftigen
Menschen helfen.
Zu kommunistischen Zeiten gingen die Assyrer
hauptsächlich in die katholische Kirche, jeden
Donnerstag wurde Assyrisch gebetet und Texte aus
der syrischen Bibel vorgelesen. An Maria
Himmelfahrt versammeln sie sich im Hof einer
orthodoxen Kirche, bringen Opfer, singen, spielen
und tanzen.
Vor ein paar Jahren wurde in Zusammenarbeit mit
dem Assyrian World Congress der Assyrische
Kongress in Georgien gegründet, dessen
Hauptziele und Aufgaben die Pflege und
Weitererhaltung der assyrischen Kultur, der
Sprache und Traditionen und die Verbesserung der
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage der
Assyrer in Georgien darstellen. Der Kongress gibt
einmal im Jahr eine Zeitung "Awyuta" (die
Solidarität) heraus; veranstaltet Sprachkurse,
Konzerte des assyrischen Tanz- und
Gesangensembles - Nineveh und Dayyane; nimmt an
den Welt-Kongressen der Assyrer teil. Die Assyrer
in Georgien und Armenien veranstalteten den
letzten assyrischen Welt-Kongress in Tiflis und
Eriwan!
|