Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 2002
Eindrücke
einer Libanonreise
- Dr. Boulos Harb -
Taxi
! Taxi! Wollen Sie ein Taxi? rief mir ein 50-jähriger
Taxifahrer entgegen, als ich meinen ersten
Schritt aus der Ankunftshalle des Beiruter
Flughafens setzte. - Nein danke. Meine Verwandten
holen mich ab, sagte ich höflich. - Sie sind
aber nicht da, entgegnete er, nachdem er sich
umschaute. - Vielleicht sind sie wegen des Regens
etwas verspätet; sie sind aber unterwegs.
Sichtlich enttäuscht, fragte er : - Wo wollen
Sie hin? - Nach Adma, 25 km von hier entfernt. -
Vielleicht kommen ihre Verwandten gar nicht.
Wollen Sie nicht doch ein Taxi? - Was kostet die
Fahrt dort hin? fragte ich. - 40 Dollar. - Das
ist fast teurer als in Europa! - Aber der Sprit
ist neuerdings sehr teuer geworden. Außerdem
ruinieren uns die Ersatzteile. Irgendwie müssen
wir leben. Alles ist in diesem Land teuer! In der
Tat gehen die Libanesen zur Zeit politisch und
wirtschaftlich durch eine harte Krise.
l. Die politische Lage.
Zahlreiche Libanesen, vor allem die Christen, fühlen
sich politisch nicht ausreichend repräsentiert.
Sie werfen der Regierung vor, die Vereinbarungen
des Taif-Abkommens von 1989 nicht durchgeführt
zu haben. Die Dezentralisierung wurde z.B.
ignoriert und die syrische Armee ist immer noch
im Land. Sie hat das letzte Wort in der
libanesischen Politik. Dadurch fühlen sich
zahlreiche Libanesen in ihrem eigenen Land nicht
mehr sicher. Sie beschweren sich, dass die
Meinungsfreiheit, die den Libanon früher
auszeichnete, nicht mehr gewährleistet ist. 2001
wurden zahlreiche christliche Jugendliche
verhaftet. Sie demonstrierten für den Abzug der
syrischen Armee aus dem Libanon. Das erbitterte
die Christen noch mehr. Der Beobachter von außen
merkt deutlich, dass sich die Versöhnung
zwischen den verschiedenen Bürgerkriegsparteien
nach 20 Jahren noch nicht durchgesetzt hat. Die
Christen fühlen sich als Verlierer des Bürgerkriegs,
und die libanesische Regierung tut nichts gegen
diesen Eindruck. Außerdem sorgt die gespannte
Lage im Südlibanon zwischen Israel und dem
Libanon für noch mehr Unsicherheit. Der Libanon
verlangt von dem Judenstaat die vollständige Rückgabe
der Schebaa-Farmen. Israel weigert sich. Die
Hisbollah-Miliz hält den Druck auf die Israeli
aufrecht, indem sie ab und zu militärische
Aktionen in der Grenzregion durchführt. Die
Antwort der israelischen Armee lässt auf sich
nicht warten. Sie nimmt die umliegenden
libanesischen Dörfer unter Beschuss. Öfter sind
auch zivile Opfer zu beklagen. Fast täglich überqueren
israelische Kampfflieger die von der UNO
festgesetzte grüne Linie zwischen dem Libanon
und Israel und verletzen damit stundenlang den
libanesischen Luftraum. Besonders provokant
wirken ihre Kampfflugzeuge mit Überschallknall
über der Hauptstadt Beirut. Sie vermitteln den
Libanesen ein Gefühl der ständigen
Unsicherheit, ja, dem militärischen Willen
Israels schutzlos ausgeliefert zu sein. Die Syrer
unterstützen die Hisbollah und profitieren von
dieser Situation. Sie sind nicht bereit, sich die
Hisbollah-Karte aus der Hand nehmen zu lassen,
solange sie die Golanhöhen nicht von Israel zurückerhalten.
Der Libanon sitzt aber in der Falle und zahlt dafür
politisch und wirtschaftlich einen hohen Preis.
Dazu kommt, dass die Lage im Zedernland nach dem
11. September 2001 viel gespannter wurde. Die
amerikanische Regierung nahm die Hisbollah auf
ihre Terroristen-Liste und verlangte von der
libanesischen Regierung ihre Zerschlagung. Die
Libanesen betrachten aber die Hisbollah als eine
Befreiungsorganisation und weigern sich, sie zu
zerschlagen, solange die Israelis libanesisches
Territorium bedrohen und sich weigern,
gekidnappte Libanesen freizulassen. Die
Amerikaner drohen dem Libanon mit militärischen
und wirtschaftlichen Sanktionen. Allerdings
beginnen sie neuerdings zwischen der "politischen
und sozialen Arbeit" der Hisbollah und ihrer
"militärischen Tätigkeit" zu
unterscheiden. Sie wären bereit, die Ersten zu
akzeptieren, gleichzeitig verlangen sie aber die
Zerschlagung ihrer "militärischen Flügel".
Der Libanon sitzt in einem Dilemma. Tut er, was
die Amerikaner wollen, hat er die Syrer und die
Hisbollah als entschiedene Gegner. Außerdem fürchtet
er, dass die Auflösung der Hisbollah der
israelischen Armee grünes Licht geben würde,
Teile des Südlibanon, die reich an Wasser sind,
erneut zu besetzen. Weigert sich die libanesische
Regierung, den Wunsch der Amerikaner zu erfüllen,
droht Washington, den Libanon zu isolieren und
ihn auf die Terrorliste zu setzen mit für das
kleine hoch verschuldete Land katastrophalen
politischen und wirtschaftlichen Folgen.
2. Die wirtschaftliche Lage
Der
Libanon befindet sich z. Zeit ohnehin in
einer bedrohlichen Wirtschaftskrise. Der
Wiederaufbau des zerstörten Landes nach
16 Jahren Bürgerkrieg kostet viel Geld.
Die Staatsschulden erreichten Ende 2001 für
die 4 Millionen Einwohner 30 Mrd. Dollar
und ein Defizit von 46,79%. Der
Schuldendienst schluckt 104% der
Staatseinnahmen, Die öffentlichen
Investitionen sind extrem niedrig. Die
Arbeitslosigkeit ist auf 30% gestiegen.
Da die Lage im Nahen Osten immer noch
bedrohlich ist, haben In- und
Auslandsinvestoren Angst, ihr Geld in
sichere und gewinnbringende Projekte zu
investieren, obwohl die Löhne und Gehälter
sehr niedrig sind. Ein mittlerer
Angestellter oder ein Gymnasiallehrer
verdient umgerechnet etwa 400 Euro pro
Monat, während die Lebenskosten so hoch
wie in Europa sind. 35% der Libanesen
leben heute unterhalb der Armutsgrenze.
Dieser Zustand verursachte eine massive
Auswanderung. Zwischen 1975-1995 haben 1.370.000
Libanesen ihr Land verlassen. Davon sind
60% Christen und 40% Muslime. Der
maronitische Patriarch Sfeir beklagt,
dass 15.000 junge Leute pro Monat
auswandern. Der maronitische Bischof von
Byblos, Beschara ar-Rai, sagt: "Die
Auswanderung der Christen entleert die
Wiege des Christentums und schwächt die
Aufrechterhaltung von Christengemeinden
in der Gegend. |
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Sie
stellt auch eine massive Verarmung des Landes im
gesellschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen
und politischen Bereich dar." Das zahlenmäßige
Verhältnis zwischen jungen Frauen und Männern
entwickelt sich durch diese Emigration ungünstig:
60% Frauen stehen zur Zeit im Zedernland 40% Männern
gegenüber. Die Erziehung der Kinder stellt ein
sehr belastendes Problem für die Libanesen dar.
Da der Mittelstand fast völlig durch die Folgen
des Bürgerkriegs vernichtet wurde, können 70%
der Libanesen das Schulgeld nicht voll bezahlen.
In Not geraten, schicken immer mehr Eltern ihre
Kinder in die öffentlichen Schulen, die nicht
darauf vorbereitet sind, eine solche Flut
aufzunehmen. Oft sitzen bis 80 Schüler in einer
Klasse. Die Regierung kann nicht mehr Schulen
bauen und auch kaum zusätzliche Lehrer
engagieren. Die Wirtschaftskrise trifft auch die
Privatschulen hart. Allein die katholische Kirche
und ihre Orden führen 7 Hochschulen und 350
Privatschulen, die sich durch ihre hohe Qualität
auszeichnen. In diesen Schulen werden heute 150.000
christliche und 50.000 muslimische Schüler und
Schülerinnen ausgebildet. 32.000 Lehrer und
Angestellte sind dort beschäftigt. Da ein großer
Teil der Eltern nicht mehr in der Lage ist, die
Schulgebühren zu zahlen, droht diesen
Erziehungsstätten die Pleite. Die Schulbesitzer
stehen immer mehr vor der Wahl, einen Teil der
Lehrer zu entlassen, oder ihre Schule einfach zu
schließen. Auch sind die öffentlichen Schulen
nicht ganz gratis. Jeder Schüler kostet die
Eltern etwa 500 Euro umgerechnet pro Jahr für
Einschreibungsgebühren, Schulkleidung, Transport.
Schulbücher- und materialien. Zahlreiche Eltern
haben dieses Geld nicht mehr. Sie nehmen ihre
Kinder aus der Schule heraus. Andere Kinder müssen
neuerdings arbeiten, um ihren Eltern zu helfen,
den Lebensunterhalt für die Familie zu
verbessern. Der Analphabetismus steigt im
Libanon, ein Phänomen, das es vor dem Bürgerkrieg
nicht mehr gab.
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