Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 2002
Die
syrisch-orthodoxe Gemeinde in Bethlehem
- Petra Heldt, Jerusalem -
Petra Heldt ist
eine deutsche evangelische Pastorin, die seit über
20 Jahren in Israel lebt. Sie leitet in Jerusalem
die "Ecumenical Fraternity", eine
Forschungseinrichtung, und gibt Vorlesungen an
der Hebräischen Universität.
Entnommen aus:
Sehet den Feigenbaum, November - Dezember 2001,
Nr. 236, S. 5-6.
Die syrisch-orthodoxe Gemeinde in Bethlehem ist
mit etwa 3.000 Seelen die größte christliche
Gemeinde am Ort. Sie ist eine alte Gemeinde in
dem Sinne, dass sie seit der Zeit der frühen
Kirche existiert. Davon zeugen auch kürzlich
aufgedeckte Mosaike an der Längswand der
Geburtskirche. Sie zeigen einen syrisch-orthodoxen
Bischof bei der Wiedererrichtung der Kirche unter
den Kreuzfahrern. Sie ist aber auch eine junge Flüchtlingsgemeinde
in dem Sinne, dass die meisten Familien heute
Nachkommen der Flüchtlinge der
Christenverfolgung in der Türkei in den Jahren
1902-1915 sind. In jener Zeit gab es furchtbare
Verfolgungen, die bekannteste davon ist die der
Armenier. Aber die syrisch-orthodoxen Gemeinden
haben ebenso gelitten, es gab Zigtausende
ermordeter Gemeindeglieder. Manche konnten flüchten
und erreichten Bethlehem und Jerusalem. Die
syrisch orthodoxe Kirche wurde von den Aposteln
in Antiochien gegründet und hatte sehr großen
Einfluss auf die Entwicklung der Liturgie und der
Bibelüberlieferung. Ihre Sprache ist Aramäisch,
die Sprache Jesu, die bis heute gesprochen wird
und in der auch die Gottesdienste gefeiert werden.
Die syrisch-orthodoxe Kirche hat das Christentum
im ganzen Osten verbreitet: über Persien in alle
Gebiete der Arabischen Halbinsel, nach Indien und
bis nach China und Japan. Im siebten Jahrhundert,
zur Zeit der islamischen Eroberungszüge, war die
syrisch-orthodoxe Kirche die größte Kirche der
Welt. In Mekka war das Zentrum eines der über
hundert Erzbistümer dieser bedeutenden Kirche.
Mit der Eroberung des Ostens durch die Moslems
wurde diese einst große Kirche fast völlig
vernichtet, und nichts darf heute in Mekka daran
erinnern, dass es einst eine bedeutende
christliche Metropole gewesen ist. Heute ist
diese Kirche zur Exilkirche geworden. Es leben
jetzt mehr syrisch-orthodoxe Christen in europäischen
Ländern als in ihren Heimatländern. Die
Gemeinde in Bethlehem ist ein Symbol dieses
Leides. Etwa 95 Prozent der Gemeindeglieder sind
ohne Arbeit. Sie haben weniger als das Nötigste.
Sie haben weder Geld für Nahrung noch für Miete
oder Krankenversicherung. In dieser Notsituation
wollen wir als Christen, denen es weit besser
geht, helfen. So haben wir als Fraternität seit
November letzten Jahres mit Hilfe von Freunden im
Ausland fast allen Familien regelmäßig
Lebensmittel und Kleiderspenden gebracht. Wir
haben Strom- und Wasserrechnungen bezahlt, aber
dennoch sind viele Familien von Wasser- und
Stromsperren betroffen. Kinder müssen Schulgeld
bezahlen und bekommen ihre Zeugnisse am Ende des
Jahres nur, wenn die Gebühren bezahlt sind. Auch
hier haben wir seit vielen Jahren geholfen, das
Leid zu lindern. Mittlerweile häufen sich die
Krankheitsfälle. Wegen ungesunder Ernährung und
schlechten Lebensbedingungen sind die Menschen
viel anfälliger, besonders Kinder sind davon
betroffen. Deshalb haben wir seit einiger Zeit
einen Krankenfond eingerichtet, aus dem wir
notwendige Arztrechnungen begleichen. Oft
organisieren wir auch Krankenhausaufenthalte in
der Jerusalemer Hadassa-Klinik. Es ist eine großartige
Erfahrung für die syrisch-orthodoxen Christen,
wenn sie immer wieder sehen, wie freundlich und
hilfsbereit Israel in solchen Fällen ist. Der
Priester der Gemeinde ist ein sehr liebenswürdiger
älterer Herr, der verheiratet ist und fünf
erwachsene Kinder hat. Er ist schwer herzkrank,
wohl wegen der großen Sorge über die Situation
und der unsicheren Zukunft seiner Gemeinde. Vor
vierzig Jahren kam er als Priester aus Ninive,
seiner Heimatstadt im Irak, um der Gemeinde in
Bethlehem zu dienen. Vor einigen Jahren begannen
wir als Fraternity, in Israel Sommerlager für
die Kinder der Gemeinde aus Bethlehem zu
organisieren. Wir fuhren nach Tabgha am See
Genezareth und campierten in der Idylle hinter
der Brotvermehrungskirche. Der Wunsch der
Jugendlichen war, ihren »Abuna« (das arabische
Wort für Priester) mitzunehmen. So kam er mit
und war der ruhende Pol in einer aufgeregten
Schar von siebzig Jugendlichen. Er verglich
Tabgha mit seinen Quellen und der reichen
Vegetation mit Ninive, und sagte, wie gut es
seinem Herzen tut, an diesem schönen Ort zu sein.
Als wir am Ende der Ferienwoche wieder im Bus zurück
nach Bethlehem fuhren, sagte er, dass er nun das
Paradies verlässt. Traurigkeit macht Menschen
krank. In diesem Sinn sind viele Menschen in der
syrisch-orthodoxen Gemeinde krank. Sie sehnen
sich nach einem normalen Leben ohne Verfolgung
und Diskriminierung und mit einem Recht auf
Arbeit. Aber das alles ist für die Christen hier
wie ein unerreichbarer paradiesischer Zustand.
Viele von ihnen wissen noch recht gut, wie groß
ihre Kirche einst war und wie weit sie wirkte, um
das Wort von der Vergebung der Sünden durch
Christus zu verkünden. Doch das sind
Erinnerungen aus dem »Paradies«, denn längst
ist es ihnen verboten, außerhalb des
Kirchenraumes Christus zu verkünden - zu stark
ist der Druck der Moslems geworden. Aber die
Gemeindeglieder leben die Vergebung und sind mit
ihrem Leben Zeugen der Auferstehung mitten in Not
und Leid. In dieser Kirche erklingt das Lob
Gottes durch die Jahrhunderte bis heute in jedem
Gottesdienst: »Herr, schenke deiner Kirche und
den Schafen deiner Herde Frieden, Ruhe und immer
währende, endlose Liebe, damit wir Dir Preis und
Danksagung darbringen können«.
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