Mar Gabriel Verein - Mitteilungsblatt 2001


 "Er war immer da, wenn wir ihn brauchten".
Die syrischen Christen verloren einen guten Freund.
Zum plötzlichen Tod von Julius Aßfalg.
Dr. Helga Anschütz

"Sie müssen unbedingt syrisch lernen!", forderte mich Prof. Julius Aßfalg auf, als ich ihn im Sommer 1966 in seiner Wohnung in der Kaulbachstraße in München besuchte. Das Goethe-Institut hatte mich an die Unterrichtsstätte in Achenmühle bei Rosenheim geschickt, um dort ausländischen Studenten Deutsch beizubringen. - Vorher hatte ich Prof. Berthold Spuler in Hamburg besucht und ihm Fotos von meiner Tur Abdin-Reise im Frühjahr 1966 gezeigt. Damals war es sogar den Fachwissenschaftlern nicht bekannt, dass im Tur Abdin Menschen lebten, die das alte, aus der Geschichte und Literatur bekannte Syrisch lesen und schreiben konnten, alte Hymnen sangen und einen aramäischen Dialekt sprachen. Seit dem 1. Weltkrieg und den folgenden Kurdenkriegen war der Tur Abdin Sperrgebiet, kein Ausländer durfte hinein. Selbst der bekannte Orientalist Prof. Helmut Ritter konnte seine Forschungen über die Turoyo-Sprache nur mit Hilfe syrischer Christen in Istanbul durchführen und nur am Ende seines Lebens 1969 auf Einladung des Bischofs Hanna Dolabani zum Kloster Deir-iz-Zafaran reisen. -
Spuler sagte mir, dass ich unbedingt zu Aßfalg fahren müsse, um ihm meine Bilder zu zeigen und über meine Reise in den Tur Abdin zu berichten. Aßfalg sei der beste Kenner des christlichen Orients. So fuhr ich nachmittags einmal die Woche die 85 km von Achenmühle nach München und ließ mich von Aßfalg in eine mir völlig fremde Sprache einführen. Geduldig erklärte er mir die syrische Schrift, dann die Grammatik, verbesserte meine Übung aus dem Lehrbuch von Ungnad "Syrische Grammatik", die ich nicht ohne Fehler die Woche davor geschrieben hatte. Aber er interessierte sich auch für die Menschen, deren Sprache er mir beibrachte und hörte meinen Reiseschilderungen zu. Damals fühlten sich die syrischen Christen vom Tur Abdin isoliert und von der übrigen Christenheit allein gelassen. Die ersten waren schon vom deutschen Arbeitsamt in Mardin als Gastarbeiter nach Deutschland vermittelt worden und berichteten Sagenhaftes vom "Goldenen Westen". Viele strebten ihnen nach. Aßfalg fand das bedauerlich; denn er ahnte, dass die jetzt neu entdeckte, altchristlich-orientalische Kultur mit der Auswanderung unterzugehen drohte. Was kann man tun, um ihnen zu helfen, ein menschenwürdiges Leben in der alten Heimat führen zu können? - Für meine nächste Reise gab er mir etwas Geld für Härtefälle mit. Später organisierte er den Ankauf eines Manuskripts, ein Buch mit Heiligenlegenden, das Bitris Ögünc, damals Malfono (Lehrer) in der Schule der Kirche Mart Schmuni, in mühseliger Sucharbeit aus alten Manuskripten in verschiedenen Dörfern in seinem Auftrag abgeschrieben hatte. Heute liegt es im Archiv der Münchner Staatsbibliothek.
1967 wurde ich nach Brilon im Sauerland versetzt und musste den Unterricht bei Prof. Aßfalg abbrechen und wurde dann von Prof. Hage in Marburg weiter betreut. Aber der Kontakt zu Prof. Aßfalg blieb immer bestehen. Eines Tages rief mich Isa Edis aus Midyat, dann als Gastarbeiter in Garbenteich/Gießen, im Goethe-Institut an und sagte: "Wir müssen unbedingt etwas für Bitris (Ögünc) tun. Er ist entführt worden und wird jetzt in einem Zimmer bei München gefangen gehalten. Ich habe einen Zettel von ihm bekommen, den er aus dem Fenster geworfen hat. Wir müssen ihn befreien!" - Was war geschehen? Der Malfono Bitris, ein Freund von Isa, hatte sich in Midyat von einem Deutschen als Reiseführer engagieren lassen; er konnte etwas Englisch. Unterwegs versprach ihm Herr Zimmermann goldene Berge, wenn er ihn nach Deutschland begleiten würde. Dort könne er an der Universität studieren und seinen Doktor machen (obwohl er im Tur Abdin nur die Grundschule besuchen konnte); alles werde von seinem Mäzen bezahlt; nur müsse er ihm helfen, syrische Manuskripte auf Deutsch zu übersetzen. Diese glänzenden Zukunftsaussichten verführten unseren Malfono, den Versprechungen zu glauben und seinem Gönner nach Deutschland zu folgen. - Bei meinem letzten Besuch in Midyat hatte ich ihm auch die Adresse und Telefonnummer von Aßfalg gegeben, aber gewarnt, irgendwelchen Verlockungen anderer Personen zu trauen.
In Deutschland angekommen, wurde Bitris in ein Haus gebracht und sollte sich dort alte syrische Handschriften ansehen. Er hatte kein Geld und durfte das Haus auch nicht verlassen. Als er einmal heimlich aus dem Haus zu einer Telefonzelle ging (woher er Geld zum Telefonieren hatte, weiß ich nicht) und sich bei Aßfalg meldete, wurde er sofort in ein anderes Haus gebracht und dort in ein Zimmer eingesperrt. Nach einigen Tagen gelang es ihm, die Adresse von Isa Edis und die Nachricht, dass er eingesperrt sei, auf einen Zettel zu kritzeln und aus dem Fenster zu werfen. Glücklicherweise wurde dieser gefunden und an Isa weitergeleitet. - Nachdem ich erfahren hatte, dass mit dem Malfono etwas Schreckliches geschehen war, sah ich in Prof. Aßfalg den einzigen Retter, denn ich konnte meinen Dienst nicht verlassen und wusste, dass man sich auf Aßfalgs Hilfsbereitschaft verlassen konnte. Ich rief ihn an und berichtete von diesem Zettel. Wir wussten nicht wo Bitris gefangen war, aber Aßfalg kannte dessen Peiniger, den er alsbald zur Rede stellte. Mit energischem Zureden holte er die Adresse aus dem Entführer heraus und fuhr mit ihm zu dem Gefangenen, der sofort befreit wurde und ein vorläufiges Asyl bei Aßfalg erhielt. Damit war das Abenteuer mit Zimmermann wenigstens vorläufig beendet. - (Eine Fortsetzung folgte später, als Bitris mit Hilfe von Aßfalg ein 4-monatiges Stipendium für 2 Deutschkurse am Goethe-Institut Brilon erhielt. Denn inzwischen hatte er an die Leitung des Goethe-Instituts geschrieben und die Herausgabe seines Opfers gefordert, den er angeblich schon für seine Übersetzungsarbeit bezahlt hatte. Mehrere Briefe folgten, auch nach Brilon. Vor Angst wagte sich unser Malfono kaum aus dem Haus und in den Unterricht. - Aber schließlich hat Aßfalg bei der Leitung des Goethe-Instituts in München angerufen und energisch um das Abstellen der Verfolgungen gebeten. Auch Herr Zimmermann (er selbst hatte ein Stipendium für die Übersetzung syrischer Handschriften bekommen, deren Sprache er nicht kannte) ließ endlich von seinem Opfer ab.
Auch bei anderen Gelegenheiten hat sich Prof. Aßfalg für syrische Christen eingesetzt und Gutachten und Stipendienanträge geschrieben, oft in Zusammenarbeit mit dem unvergessenen Augustinerpater und Theologieprofessor Hermenegild Biedermann in Würzburg, Dr. Albert Rauch in Regensburg und Prof. Friedrich Heyer in Heidelberg.
Auch mir hat er oft bei der Arbeit über die syrischen Christen im Tur Abdin (1985 in Würzburg erschienen) geholfen, besonders bei der Herausfindung der alten Ortsnamen im Tur Abdin. Bis zuletzt war er immer für alle da, die sich Hilfe suchend an ihn wandten. Wir werden ihn vermissen und ihn nicht vergessen.

Helga Anschütz

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