Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 2000
Die
Emigration der Syrer aus dem Orient nach
Westeuropa
und deren kulturelle Entwicklung
Von Mor Julius Jeshu Cicek
Erzbischof der
syrisch-orthodoxen Diözese Mitteleuropa
Wer sind die Syrer?
Die Syrer bzw. Aramäer leben heute in den
Nahoststaaten wie Syrien, Jordanien, Irak, Iran,
Türkei, Libanon und Israel und sind eine
nationale, sprachliche, religiöse Minderheit,
die christlich ist und sich in viele Kirchen bzw.
Konfessionen aufteilt. Der rechtmäßige Gründer
der syrischen Kirche ist der Apostel Petrus, der
im Jahre 37 n.Chr. den apostolischen Stuhl in
Antiochien errichtet hat.
Gemäß dem 6.Canon des Konzils von Nicäa, 325 n.Chr.,
standen der ganze Orient und Indien unter der
Herrschaft Antiochiens. Als Nachfolger des
Apostels Petrus haben auf dem antiochenischen
Stuhl bis heute 122 rechtmäßige Patriarchen die
syrische Kirche regiert und verwaltet.
Die goldene Zeit der Syrer
Im 5. Jahrhundert besaßen die Syrer 20.000
Kirchen sowie Hunderte bekannter Klöster, d.h.
die Syrer haben überall in Mesopotamien Kirchen
und Klöster gegründet. Zum Beispiel gab es
allein in Edessa ca. 300 syrische
Klostergemeinschaften, in denen 90.000 Mönche
lebten, zum Teil in Klöstern, zum Teil sogar in
Höhlen, und ein asketisches Leben führten. Man
sagt, daß um jene Zeit die Zahl der Syrer in die
Millionen stieg. Heute sind im ganzen Osten kaum
300.000 geblieben. Die syrische Kirche besaß
auch höhere Schulen, aus denen große
Wissenschaftler hervorgingen, die bekannte
Schriften geschrieben und wichtige Studien
betrieben haben. Erwähnenswert sind der hl.
Afrem der Syrer (373), der hl. Jakob von Sarug (523),
der hl. Jakob von Edessa (708), der hl. Moshe bar
Kifo (903) und der hl. Barhebräus (1286). Sie
haben, ähnlich wie viele andere, durch ihre
verschiedenen Schriften viele Bibliotheken der
Welt bereichert.
Emigration der Syrer in der Vergangenheit
und in der Gegenwart
In den Jahren 1895-1914/15 wurden durch die große
Macht der Osmanen in der heutigen Türkei,
Millionen Christen, unter ihnen auch
Hunderttausende Syrer, mit Zustimmung ihrer
moslemischen Nachbarn gnadenlos ermordet. Sie
haben Verfolgungen, Beleidigungen, Folterungen,
Bedrängnisse und Angst heldenhaft und mutig
ertragen. Die Verfolgung der letzten Jahre hörte
aber im Nahen Osten nicht auf. Den Syrern war es
nicht möglich, zu ihren menschlichen Rechten zu
kommen und ihre Kultur zu bewahren. Es war ihnen
in ihrer ursprünglichen Heimat auch verboten,
ihre aramäische Muttersprache zu lernen und zu
lehren. Alle diese Schwierigkeiten waren der
Grund, daß viele Syrer in der Mitte dieses
Jahrhunderts ihre Heimat verließen und in die
christlichen, demokratischen Länder, wie Europa,
Amerika und Australien, flohen, wo Arbeit und
Friede gesichert sind und Gerechtigkeit herrscht.
Deswegen kamen in den Jahren 1962-1977 Tausende
Syrer, die mehrheitlich aus dem Gebiet Tur Abdin
(im Südosten der Türkei) stammten, aus Syrien,
in den letzten Jahren auch aus dem Irak, als
Gastarbeiter in die westlichen Länder Europas.
Heute sind 120.000 Syrer nach Westeuropa
ausgewandert und sind hier seßhaft geworden. Von
denen leben ungefähr 40.000 in Deutschland. Die
geistlichen Väter der Kirche haben die Hoffnung
auf Rückkehr der Syrer in ihre Heimat
aufgegeben, als sie die Situation der syrischen
Auswanderer gründlich studiert hatten.
1977 beschloss die Hl. Synode der syrischen
Kirche in Damaskus, in Westeuropa zwei syrische
Diözesen zu gründen. Eine wird die Diözese von
Mitteleuropa genannt und umfaßt Deutschland,
Holland, Belgien, Schweiz, Frankreich und Österreich.
Die zweite ist die Diözese von Schweden, weil
die Mehrheit der Syrer dorthin ausgewandert ist.
Sie umfaßt die Länder Skandinaviens.
Die Sorge der syrischen Kirche: die
Angelegenheit der Auswanderer
Die syrische Kirche war von Anfang bis heute
gegen die Auswanderung ihrer Kirchenmitglieder.
Sie hat sie ständig ermutigt, in der Heimat, in
dem Land ihrer Vorfahren zu bleiben. Aber sie
haben trotzdem wegen verschiedener
Schwierigkeiten ihre Heimat verlassen und in der
Fremde Zuflucht gesucht.
Der damalige Patriarch, Jakob III., stattete in
Begleitung von vier Bischöfen im Jahre 1980 der
Diözese von Mitteleuropa seinen apostolischen
Besuch ab. Er traf sich mit den kirchlichen und
weltlichen Leitern von Deutschland, Holland und
der Schweiz und gab ihnen wegen der Auswanderung
der syrischen Kirchenmitglieder aus ihrer Heimat
ausreichende Auskunft. Zugleich hat er sie
gebeten, für die Auswanderer zu sorgen.
Der Besitz des St. Afrem-Klosters
1977 wurde also beschlossen, in Europa eine
syrische Diözese zu gründen. Die erste Kirche
war jene von Mor Juhanun in Holland, dort wurden
alle kirchlichen Angelegenheiten geregelt. Der
Bischof bemühte sich aber weiter, ein geistiges
Zentrum für die Diözese zu finden. Im Jahre
1981 fand er ein Kloster an der Grenze Holland/Deutschland.
Es wurde von ihm samt 28 ha Land gekauft. Dort
wurde ein offizielles Zentrum für ganz Europa
errichtet, das bis heute für die geistliche und
kulturelle Entwicklung der syrischen Sprache und
der kirchlichen Musik sorgt.
Errichtung einer neuen Diözese
Am Anfang bedurfte die neue Diözese von Europa
einer großen kirchlichen Organisation; sie umfaßte
die ständige Arbeit, die Festlegung der Grenzen,
der Statuten und der Verfassung der syrischen
Kirche in diesen Ländern, sie sollte auch die
zukünftige Grundversorgung gewährleisten.
Die Diözese verfügte am Anfang über keine
Kirchengebäude, keinerlei Einrichtungen. Die
finanzielle Hilfe, die die syrische Kirche von
Zeit zu Zeit von den Schwesterkirchen erhielt,
war sehr dürftig und es lohnte sich fast nicht,
darauf die ganze Hoffnung zu setzen. Der Diözesanbischof
erkannte die große Not. Am Anfang bemühte er
sich sehr um Hilfe und zeigte großes Interesse,
den Mitgliedern der syrischen Kirche in Europa,
entsprechen den anderen Schwesterkirchen in
Deutschland, ein neues Kirchengesetz zu geben,
damit jedem Mitglied möglich wird, den
Jahresbeitrag ordnungsgemäß zu bezahlen; daraus
sollten die Kirchenausgaben und die Besoldung der
Seelsorger und Kirchenleiter bestritten werden.
Der Diözesanbischof rief deswegen am 27.
September 1977 die vier Seelsorger, die damals
die Aufgaben der ganzen Diözese Mitteleuropa
wahrnahmen, zu sich. Sie legten nach einigen
Diskussionen und Überlegungen folgende Punkte
fest:
1. Errichtung und Etablierung von Kirchenräte in
Städten, in denen viele Kirchenmitglieder leben.
2. Gründung eines universalen Weltrates für die
Diözese.
3. Die Bezahlung des jährlichen
Kirchenbeitrages, aus dem die Besoldung
seelsorgerischer Dienste und die kulturelle
Entwicklung bestritten wird.
4. Herausgabe religiöser und kirchlicher Bücher.
5. Herausgabe einer Diözesenzeitschrift für
religiöse Zwecke und für die kulturelle
Entwicklung.
Die Sorge um die syrische Kultur
Nachdem das Kloster instandgesetzt war, beschloss
das Komitee, Schüler aus verschiedenen Ländern
Europas und Schwedens aufzunehmen, die ihre
Muttersprache lernen wollen. Diese können die
Klosterschule während der Schulferien besuchen,
d.h. wenn die offiziellen Schulen geschlossen
sind. Sie werden in verschiedenen Klassen eingeführt
und können einen syrischen Sprachkurs besuchen
und den Ministrantendienst fortsetzen. Bis heute
kommen Gruppen von Schülern aus verschiedenen
Orten ins Kloster, um ihr kleines, spezielles
Sprachprogramm fortzusetzen. Einige der Schüler
bleiben länger im Kloster, weil sie ihre
syrischen Sprachkenntnisse vertiefen wollen.
Kirchliche und kulturelle Entwicklung
Die Herausgabe der kulturellen und kirchlichen Bücher
in den Nahoststaaten war nicht einfach wegen der
harten Gesetze und Verfassungen, die gegen sie
gerichtet waren. Nur im Libanon durften Bücher
herausgegeben werden, in allen übrigen Ländern
bedurfte es einer offiziellen Genehmigung seitens
der Regierung. Die Pressefreiheit in Europa und
die Herausgabe von kirchlichen Büchern und
Schulbücher, bedeutete für die syrische Kirche
etwas Neues. Der Bischof gab sich die Mühe, möglichst
viele Bücher in verschiedenen Sprachen
herauszugeben. Im Jahre 1978 wurde die
Zeitschrift Kolo Suryoyo Syrische
Stimme herausgegeben. Sie war damals die
erste syrische Zeitschrift in Europa. Allmählich
wurden auch kirchliche, kulturelle und religiöse
Bücher herausgegeben, um das Bedürfnis der
Kirche und der Schulen in der Diözese zu erfüllen.
Deswegen wurde im Jahre 1985 im Kloster St. Afrem
in Holland eine Druckerei Matba´tho
Doronoyto errichtet. Ziel dieser Druckerei
war es, mehr Bücher in verschiedenen Sprachen
herauszugeben. In den Jahren 1976-1999 wurden
mehr als 130 Bücher in Aramäisch, Arabisch,
Deutsch und Türkisch gedruckt. Bis heute sind
viele dieser kulturellen Bücher im Kloster St.
Afrem erhältlich und können dort bestellt
werden. Der allgemeine Bücherkatalog wird alle
zwei Jahre neu erstellt und mit Namen und Preis
versehen. Jetzt ist er im Internet abrufbar.
Zum Schluß
In den vergangenen 20 Jahren gelang es den in der
Diaspora lebenden Syrern durch ihren Eifer, in
Mitteleuropa 40 Kirchen und drei Klöster zu gründen,
die heute unter der Leitung zweier Diözesanbischöfe,
von 62 Priestern, 9 Mönchen, 60 Gemeinderäten
und 49 kulturellen Vereinen stehen und der
syrischen Kirche und ihrer Kultur dienen. Seit
1985 ist die syrische Kirche in Deutschland
offiziell als Körperschaft des öffentlichen
Rechts anerkennt. Seit 1960 ist sie Mitglied des
Weltkirchenrates. An vielen Orten Deutschlands
wird der syrisch-aramäische Religionsunterricht
in den Schulen offiziell unterrichtet.
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