Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 2000
Christen
In der Türkei
Von Pfarrer Gerhard
Duncker, Istanbul
Ne mutlu türküm diyene
(Glücklich ist der, der von sich sagen kann, ich
bin ein Türke). Dieser Satz Mustafa Kemal Atatürks
prangt an vielen öffentlichen Gebäuden in der Türkei.
Was Atatürk eher pathetisch ausdrückte, findet
seinen praktischen Niederschlag in Artikel 3 und
Artikel 5 der türkischen Verfassung. Hier ist
von einer unteilbaren Einheit von Land und Nation
die Rede. Den Begriff der Minderheit kennt die
Verfassung nicht. Damit hat sich für weite Teile
der türkischen Öffentlichkeit auch das Problem
erledigt: Was es in der Verfassung nicht gibt,
kann es in der Wirklichkeit auch nicht geben. In
der Tat sind die christlichen Kirchen in der Türkei
inzwischen eine so kleine Minderheit geworden, daß
man sie leicht übersehen kann. Lebten zu Beginn
des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der heutigen
Türkei noch über 20% Christen, sind es heute
nur noch 0,1%. Der Anteil der christlichen Bevölkerung
in Istanbul ist seit 1914 von 46% auf
augenblicklich etwa 1% gesunken. Das heißt, alle
christlichen Kirchen Istanbuls zusammen stellen
noch einen Bevölkerungsanteil von gut 100.000
Menschen.
Auch wenn die Verfassung keine Minderheiten
kennt, ist die Rolle der nicht-moslemischen
Minderheiten völkerrechtlich geregelt. Grundlage
für den Schutz der nicht-moslemischen
Minderheiten ist nämlich der Vertrag von
Lausanne vom 24.7.1923. Als nicht-moslemische
Minderheiten werden dabei jedoch nach der herkömmlichen
staatlichen Interpretation nur die Griechen,
Armenier und Juden rechtlich anerkannt. Andere
religiöse Minderheiten, etwa die syrisch-orthodoxe
Kirche oder die ausländischen Gemeinden,
besitzen diesen rechtlichen Status nicht. Im
Artikel 40 des Lausanner Vertrages heißt es:
Türkische Staatsangehörige, die nicht-moslemischen
Minderheiten angehören, genießen rechtlich und
tatsächlich die gleiche Behandlung und
Sicherheit wie andere türkische Staatsbürger.
Insbesondere haben sie das gleiche Recht, auf
eigene Kosten karitative, religiöse und soziale
Einrichtungen, Schulen und andere Bildungs- und
Ausbildungsstätten zu errichten, zu betreiben
und die Aufsicht darüber zu führen, einschließlich
des Rechts, sich in diesen Einrichtungen
uneingeschränkt ihrer eigenen Sprache zu
bedienen und ihre Religion auszuüben. Über
Jahrzehnte ist der Vertrag von Lausanne
eingehalten worden, obwohl bereits seit 1923
keine neuen Kirchengebäude in der Türkei mehr
errichtet werden konnten.
Eine erste Erosion setzte 1936 mit einer
Verordnung ein, die den Religionsgemeinschaften
zwar erlaubte, vorhandenes Vermögen in Form von
privatrechtlichen Stiftungen zu verwalten, es
ihnen aber untersagt, neues Vermögen zu erwerben.
Diese Verordnung, die vor allem das Ziel
verfolgte, die moslemischen Stiftungen zu
treffen, verkehrte sich jedoch bald in ihr
Gegenteil. In den ersten Jahren nach 1936,
erwarben moslemische wie nicht-moslemische
Stiftungen zwar weiterhin Vermögen, im Jahre
1972 eröffnete die Generaldirektion für
Stiftungen, der die Stiftungen aller
Religionsgemeinschaften unterstehen, jedoch
erstmals ein Verfahren auf der Grundlage dieser
Verordnung gegen eine Kirche. Besonders betroffen
waren in den folgenden Jahren Immobilien
armenischer Stiftungen. Mehr als zwei Dutzend von
ihnen sind faktisch enteignet worden. Das letzte
Objekt war ein Geschäftshaus in der Fußgängerzone
Istiklal Caddesi. Es war 1954 von einem
armenischen Christen einer armenischen Stiftung
vermacht worden. Genauso enteignet wurde 1998 ein
50.000m² großes Grundstück einer katholischen
Gemeinde am Bosporus. Ebenfalls enteignet wurde
die Grundschule des katholisch-armenischen Ordens
der Mechitaristen. Der Grundbucheintrag wurde gelöscht,
die Stiftung erhielt jedoch von dem neuen Eigentümer,
der Firma Miltas, den Kaufpreis von 710.000,-- TL
zurück (zur Zeit des Kaufs ca. 1 Mio. DM, zur
Zeit der Rückgabe 3,50 DM!).
In der Grundstücksfrage zeigt sich die große
Unsicherheit, in der die christlichen
Minderheiten leben. Diese Unsicherheit setzt sich
fort bis in das Leben jedes einzelnen Christen.
Die Devise für viele laute daher: Besser
nicht auffallen. Dies gelingt meistens,
allerdings dann zum Beispiel nicht, wenn ein
Christ seinen Personalausweis vorzeigen muß.
Dort läßt schon die Ziffernfolge 31 in der
Ausweisnummer erkennen, daß es sich um einen
Christen handelt.
Erwähnt muß in diesem Zusammenhang noch der
Umstand, daß die Existenz einer speziellen
Abteilung für die christlichen Minderheiten
innerhalb der Emniyet (Sicherheits-)-Behörde die
christlichen Staatsbürger der Türkei zusätzlich
verunsichert.
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