Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 2000
Eindrücke
vom Besuch der Christen im Nordirak
Von Pfarrer Horst Oberkampf
Die Situation der assyrischen und
der chaldäisch-katholischen Christen in der
Schutzzone der Alliierten im Nordirak hat sich
zwischen 1997 und 1999 leicht gebessert und zeigt
winzige Spuren der Hoffnung. Der Wille zum Überleben
ist stark; die UN Resolution 986 Food for
oil (Nahrungsmittel für Öl) hat die
Versorgung der Bevölkerung mit
Grundnahrungsmitteln wesentlich verbessert, so
war mein Eindruck bei meinem zweiten ökumenischen
Besuch im Nordirak im Juni 1999. Zum ersten
Mal war ich 1997 dort. Beide Besuche machte ich
zusammen mit dem Ökumenereferenten der
Evangelischen Kirche in Bayern, Kirchenrat
Michael Martin seit Februar 2000 ist er Dekan in
Aschaffenburg. Im Juni 1999 hielten wir uns eine
Woche lang zu Gesprächen und Besuchen im
Nordirak auf.
Anmerkungen zur Situation
Die Situation ist dennoch dramatisch für die
kleine Minderheit der Assyrer, die Christen sind
noch etwa 4o.ooo Christen sollen gegenwärtig im
Nordirak leben, vor allem in der Region Dohuk und
Arbil, der Hauptstadt vom Nordirak, nördlich des
36. Breitengrades, der Schutzzone der Alliierten
nach dem 2. Golfkrieg 1991. In dieser Schutzzone
leben Kurden und Assyrer und andere ethnische und
religiöse Minderheiten zusammen.
Immer wieder war zu hören oder zu sehen: Die
Verhältnisse sind instabil; die Sorge vor
weiteren Abwanderungen ins westliche Ausland ist
groß; die Angst vor einem erneuten Eingreifen
des irakischen Diktators Saddam Hussein ist
allgegenwärtig; die ökonomische Situation ist
schlecht; die Abhängigkeit von den großen
Hilfsorganisationen ist nicht zu übersehen; die
beiden Embargos, die nach dem Golfkrieg von den
UN gegen Saddam Hussein und im gleichen Atemzug
vom irakischen Diktator gegen den Norden verhängt
wurden, haben die Menschen verbittert; der Einfluß
von fundamentalistischen Strömungen des Islam
nimmt zu; die politische Entwicklung geht nicht
voran die großen Kurdenführer Barzani und
Talabani und ihre Parteien KDP und PUK sind sich
uneinig über die Vorherrschaft und über die
Zukunft des Nordirak; die Friedensgespräche der
Oppositionsparteien aus dem Nordirak in den USA
sind im Juli 99 ohne Ergebnisse vertagt worden;
die Schere zwischen arm und reich klafft auch im
Nordirak immer weiter auseinander.
Zeichen ökumenischer Solidarität
Trotz großer Anstrengungen, die Spuren der Zerstörung
aus dem 2. Golfkrieg (1991) mit Hilfe der großen
Hilfsorganisationen, die seit vielen Jahren im
Land sind, zu beseitigen, gibt es in vielen
assyrischen Dörfern immer noch ungeheuer viel zu
tun. Kirchen und Schulen müssen wiederaufgebaut,
Landwirtschafts- und Wasserprojekte müssen gefördert,
arme Familien, die unter dem Existenzminimum
leben, müssen unterstützt werden, Studenten
sind auf Hilfe angewiesen, um studieren zu können
und Apotheken müssen finanziell gefördert
werden, damit Medikamente eingekauft und nach
Vorlage eines Rezeptes an arme Familien möglichst
kostenlos weitergegeben werden können.
Die Evangelische Landeskirche in Württemberg, zu
der ich gehöre, und die Evang.-Luth. Kirche in
Bayern haben in den letzten Jahren verschiedene
kleine Projekte im Nordirak gefördert, ebenfalls
unsere Kirchengemeinde Bad Schussenried, in der
ich Gemeindepfarrer bin. Es sind kleine, aber
wichtige Zeichen ökumenischer Solidarität.
Wir danken den Christen in Deiner Kirche
von ganzem Herzen, wurde mir im Dorf Dure,
nahe der türkischen Grenze, gesagt, in dem meine
Landeskirche beispielsweise die zerstörte Kirche
wieder aufgebaut und einen Traktor bewilligt
hatte. Es ist schön für uns, daß Ihr uns
besucht und nach uns schaut. Euer Besuch gibt uns
neuen Mut und auch das Gefühl, daß wir nicht
vergessen sind, wurde in verschiedenen Dörfern
immer wieder betont.
Beispiel: Unser Studentenfonds. Ich traf auch
Haifa, die Medizinstudentin aus Dohuk, die
zusammen mit weiteren Studenten aus dem von
unserer Kirchengemeinde eingerichteten "Studentenfonds"
unterstützt wurde. Sie ist heute Ärztin in
Dohuk. Bei einer abendlichen Begegnung mit
einigen Studenten, die durch diesen Fonds auch
gefördert werden, sagte sie uns: "Ich kann
es nicht aussprechen, was diese Hilfe von euch für
mich und meine Familie und meine Freunde
bedeutet; ich werde das nie vergessen",
sagte die heute 25-jährige junge Frau. "Ich
weiß nur,", sagte sie weiter, "daß
ich ohne euch nicht da wäre, wo ich heute bin.
Danke auch im Namen meiner Freunde, die noch
studieren und die dies ebenfalls nur mit Eurer
Unterstützung tun können".
Sie erzählten uns auch einiges über ihre
Zukunftsperspektiven. Sie sagten u.a.: " Es
ist angesichts der großen Arbeitslosigkeit
gegenwärtig sehr schwer, einen Arbeitsplatz nach
Abschluß des Studiums zu bekommen. Wir möchten
gerne hier bleiben und unserem Volk helfen. Aber
wir sind nicht sicher, ob wir bleiben können.
Wenn wir eine Familie gründen und aufbauen
wollen, ist dies für uns sehr teuer. Vielleicht
liegt unsere Zukunft doch im Ausland".
Ich spürte diese Spannung, in der die jungen
Leute stehen: Bleiben oder gehen, standhalten
oder flüchten? In welche Richtung wird ihr Weg
gehen? Wo liegt ihre Zukunft? Wie kann die junge
assyrische Generation überleben? Mehr Fragen als
Antworten wurden bei jener Begegnung laut. Klar
war mir: Wir müssen diesen jungen Leuten im
Rahmen unserer Möglichkeiten helfen, damit sie
eine gute Ausbildung bekommen. Denn das ist
sicher etwas vom Wichtigsten, jungen Leuten eine
Ausbildung zu ermöglichen, damit sie ihre
Zukunft und die ihres Volkes dort oder anderswo
kreativ mitgestalten können.
Ein armenisches Dorf
Noch eine Begegnung. Es war Azverok, in dem die
einzige christlich armenische Gemeinde im
Nordirak wohnt. Vermutlich ist sie nach dem
furchtbaren Pogrom von 1915 dorthin geflohen, um
zu überleben; und dort hat sie eine neue Heimat
gefunden. Eine armenische Frau sagte sehr
leidenschaftlich, während sie Ziegenhaar mit
ihrer Spindel zu Wolle spann: "Wir haben gar
nichts! Keine Kirche, keine Schule, keine
Krankenstation und unsere Kinder sind krank. Wir
sind ein armes Dorf. Bitte, helft uns, damit
unser Dorf und wir wieder eine Zukunft haben".
Diese eindringliche Bitte ist mit mir gegangen
und auch die Einsicht, daß diese kleine
Minderheit der armenisch-orthodoxen Christen
unter einer größeren Mehrheit von Christen der
apostolisch-orthodoxen Kirche des Ostens und der
chaldäisch-katholischen Kirche nicht übersehen
oder gar vergessen werden darf. Ich bin froh, daß
meine Landeskirche Ende November 1999 Mittel zur
Verfügung stellte, um die Kirche für die
armenischen Christen wieder aufzubauen. Und die
Kirche wird für sie Heimat, Ort der Begegnung
und Ort der Feier ihres Glaubens sein, aus dem
sie Kraft schöpfen, um leben zu können.
Fast geschlossene Grenzen
In dieser einen Woche besuchten wir viele Dörfer
und Projekte und hatten viele Gespräche mit den
Verantwortlichen der bei den Hilfsorganisationen,
mit denen wir seit Jahren zusammenarbeiten mit
AASS (Assyrian Aid and Social Society) und mit
CAPNI (Christian Aid Programm Northern Iraq). Wir
begegneten alten und neuen Freunden, die zum Volk
der Assyrer gehören. Als wir über Syrien in den
Nordirak einreisten, sahen wir jenseits der
syrischen Grenze Dörfer aus dem Tur Abdin. Und
ich machte mir klar, daß früher die ganze
Region zusammengehörte. Die Grenzen wurden erst
Anfang des Jahrhunderts gezogen. Christen
aus dem Orient bildeten eine große ökumenische
Gemeinschaft. Heute stellen die Grenzen
Hindernisse dar, die fast nicht zu überwinden
sind, leider! Die Christen im Nordirak leben wie
eingeschlossen. Für Ausländer ist
es äußerst schwierig, die Grenze in den
Nordirak zu überwinden. Der Weg über Silopi in
der Türkei ist für Ausländer so gut wie
geschlossen. Die Grenze von Syrien über den
Tigris bei Feshkhabur zu überwinden, ist nur möglich,
wenn eine Erlaubnis vom General des militärischen
Geheimdienstes in Qamishli vorliegt. Trotz aller
Schwierigkeiten, so wurde mir deutlich, soll und
muß die Unterstützung und der Kontakt zu den
Christen und zu den Assyrern im Nordirak, die von
der Weltöffentlichkeit fast vergessen sind,
fortgesetzt und gestärkt werden.
Hinweise
Wer die bestehenden Projekte im Nordirak mit
unterstützen will oder einen ausführlicheren
Bericht über unseren Besuch haben möchte, wende
sich bitte an mich: Pfarrer Horst Oberkampf,
Goethestr.1, D88427 Bad Schussenried, Tel.:
07583-2463, Fax: 07583-4712, e-mail: horst.oberkampf@t-online.de
Wer mehr über den Nordirak oder den Tur Abdin
erfahren möchte kann uns auf unserer Homepage
besuchen: www.nordirak-turabdin.de
Pfarrer Horst Oberkampf, Bad Schussenried.
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