Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 2000
Die Überlebenschancen
der syrischen Christen im Irak
Von Dr. Helga Anschütz
Ihrer Überlieferung nach wurden
die Christen in Mesopotamien schon im 1. Jh. vom
Apostel Thomas, sowie den Heiligen Thaddäus (Mar
Adday) und Mar Mari für den neuen Glauben
gewonnen. Bereits im 3. Jh. blühten christliche
Gemeinden in Arbil, Kirkuk und anderen Städten.
Seleucia-Ctesiphon, südlich von Bagdad, wurde
schon um 500 n.Chr. Sitz eines Katholikos der
Apostolischen Kirche des Ostens, im
Abendland als nestorianische Kirche
bekannt. Im Persischen Reich und danach unter den
Kalifen entwickelte sich die Kirche bis nach
Indien, China und Innerasien hin und zählte
zeitweise mehr als 80 Mio. Anhänger; die
nestorianische Ärzteschule von Gundishapur im
heutigen Iran war weltberühmt. Als Übersetzer
griechischer Autoren ins Syrische und später ins
Arabische, als Naturwissenschaftler, Philosophen
und Theologen übten sie einen großen Einfluß
auf die islamische Welt aus. Der Tatarensturm
bereitete dieser Blüte ein jähes Ende. Reste
von Nestorianern flüchteten in die unwegsamen
Berggebiete an den Quellflüssen von Euphrat und
Tigris. Kurdenaufstände und Verfolgungen im 1.
Weltkrieg vertrieben viele aus ihrer Heimat und
verstreuten sie über die ganze Welt. Aber im
heutigen Irak, besonders in den Städten und in
den Dörfern Nordiraks konnten sich die vielfach
noch neuaramäische Dialekte sprechenden Christen
trotz aller zeitweiligen Verfolgung halten. Sie
verdanken dieses größtenteils dem Schutz der
katholischen Kirche, der sich die meisten unter
dem Namen Chaldäer seit dem 18. Jh.
in einer Union anschlossen. Seit 1832 besteht das
Patriarchat von Babylon in Bagdad,
dem bis vor dem 1. Golfkrieg etwa 1 Mio.
Mitglieder angehörten. Außerdem lebten im Irak
noch etwa 80.000 syrisch-orthodoxe und syrisch-katholische
Christen, sowie ca. 150.000 Anhänger der Alten
Apostolischen, Katholischen, Assyrischen Kirche
des Ostens (Nestorianer); etwa 100.000 von
ihnen hielten trotz Unterdrückung in ihren Dörfern
in Kurdistan bis nach dem 2. Golfkrieg aus.
Seitdem versuchen viele von ihnen wegen der
unerträglichen Lebensverhältnisse auf
verschiedenen Wegen, auch als boat-people
aus dem Irak an die nördlichen Mittelmeerküsten
zu entkommen. Das Embargo hat den Mittelstand,
dem viele Christen angehörten, weitgehend
ruiniert. Viele sind zu ihren Verwandten in die
USA, nach Frankreich und Australien geflüchtet.
Dennoch wollen viele syrische Christen aller
Kirchen in ihrer alten Heimat Mesopotamien
bleiben. Sie sind sich ihre großartige Tradition
von Ur, Babylon und Ninive bewußt und wissen, daß
sie, wie die Auswanderer zeigen, ihre Kultur und
kirchlichen Traditionen in der Fremde verlieren
werden und damit ihre Wurzeln, das fast 2000
Jahre alte syrische Christentum, das trotz aller
Verwandtschaft mit den Glaubensbrüdern im Westen
stets seinen orientalischen Charakter bewahrt
hatte im Irak stehen sie unter dem Schutz der
Regierung, zumal diese von der auch von Christen
mitgeprägten Baath Partei laizistisch beeinflußt
ist. Im Irak haben die heute etwa 700.000
syrischen Christen noch eine echte Überlebenschance,
wenn sich durch die Aufhebung des drückenden
Embargos endlich die Lebensbedingungen verbessern
würden und kein blutiger Umsturz das alte
Kulturland Mesopotamien ins Chaos stürzen würde.
Diese von den Kirchenführern engagiert
vertretene Hoffnung wird in den alten Kirchen und
Klöstern und den Kulturdenkmälern aus frühen
Zeiten untermauert.
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