Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 1997
Situation
der Christen im Irak
Im Jahr 1957 waren
noch 40% der Einwohner des Irak Christen, heute
ist ihr Anteil auf 7% gefallen mit weiterhin
abnehmender Tendenz. Im Nordirak leben neben 3
Mio. Kurden etwa 50.000 syrische und armenische
Christen (manchmal werden auch höhere Zahlen
genannt). Im 1992 gewählten Parlament der
Schutzzone Nordirak haben die Kurden 100 Sitze (je
50 Sitze entfallen auf die DPK von Barzani und
die PUK von Talabani), die christliche Minderheit
hat fünf Abgeordnete, die der ADM (Assyrian
Democratic Movement) angehören. Einer der 14
Minister ist syrischer Christ: Jakob Yousuf,
verantwortlich für den Wiederaufbau.
Dennoch sieht es nicht gut für die Christen aus.
Große islamische Hilfsorganisationen und
Finanziers aus Saudi-Arabien unterstützen
bevorzugt den Aufbau kurdischer Siedlungen. Auch
viele neue Moscheen werden gebaut. Gelder aus
Westeuropa, auch aus Deutschland, fließen in der
Regel an den Christen vorbei und werden z.T.
zweckentfremdet verwendet. Wegen der unsicheren
Situation sind viele Christen - auch schon vor
dem Golfkrieg - nach Bagdad ausgewichen, wo sie häufig
ein kümmerliches Dasein fristen. Ihre Rücksiedelung
gestaltet sich jetzt doppelt schwierig: zum einen
dürfen die Rückkehrwilligen keinerlei Besitz über
die Demarkationslinie in den Nordirak mitnehmen,
zum anderen fehlt es an geeigneten Unterkünften.
Es gibt jedoch Initiativen, die speziell auf
Hilfe für die Christen ausgerichtet sind. Zu erwähnen
ist vor allem das Christian Aid Program Northern
Iraq (CAPNI). Die medizinische Versorgung der
Region wird z.T. von sehr großen, finanzkräftigen
Institutionen sichergestellt, z.B. Unicef,
Schwedisches Rotes Kreuz, "Global Partners"
(USA, Southern Baptist Church) u.a. Ferner sind
im Nordirak auch weitere NGO' s (Non-Government-Organizations)
tätig, so der Arbeiter Samariter Bund, der in
Zakho ein Büro hat und mit Pfarrern der
syrischen (chaldäischen) Christen
zusammenarbeitet.
Wie in allen Krisenregionen der Welt besteht auch
im Falle des Nord-Irak das Problem, die Hilfsmaßnahmen
zu koordinieren und die Spendengelder
bedarfsgerecht unter Setzung von Prioritäten
einzusetzen. Persönliche Kontakte und
Inspektionen sind deshalb unerläßlich.
Beispielhaft hat das die Ev.-luth. Kirche in
Bayern gemeinsam mit der evangel. Gemeinde Bad
Schussenried getan. So ist es nach Artikel 4 der
neuen Verfassung des Nordirak den Christen nun
erlaubt, in der Schule muttersprachlichen
Unterricht anzubieten. Das Problem aber war, daß
keine Schulbücher dafür zur Verfügung standen.
Es gelang, das Wirtschaftsministerium und die
Evang. Landeskirche in Württemberg dazu zu
bringen, diese Projekt zu fördern. Auch viele
anderen Projekte (z.B. Ausbau von Kirchen,
Familienhilfe, Stipendien) werden im Rahmen des
Programms "Christen helfen Christen im
Nordirak" durchgesetzt und betreut.
Die anfängliche Solidarität zwischen Christen
und Kurden im Nordirak als Reaktion auf den
gemeinsamen Aggressor Saddam Hussein ist
mittlerweile wieder der traditionellen Gegensätzlichkeit
dieser Volksgruppen gewichen. Dieses Bündnis
stand von Anfang an auf schwachen Füßen. Den
Christen gelang es nämlich auch in früheren
Zeiten - trotz aller von Bagdad aus gesteuerten
Zerstörungsaktionen, denen auch viele
christliche Dörfer zum Opfer fielen - stets
besser, sich mit Saddam zu arrangieren. Saddam
galt nie als ein Feind der Christen (vgl. dazu
auch Helga Anschütz: Warum Saddam Hussein ein
Kloster restaurieren ließ. Frankfurter
Allgemeine Zeitung 25.2.l992). Neuerdings werden
die Christen der Parteinahme für Barzani
bezichtigt, obwohl die Assyrian Democratic
Movement eine Vermittlungsstrategie zwischen den
beiden kurdischen Parteien angestrebt hatte.
Barzani aber steht dem Diktator aus Bagdad
bekanntlich sehr viel näher als Talabani. Ca. 20-30
der von den Christen während des Golfkriegs
verlassenen Dörfer sind zwischenzeitlich von
Kurden besetzt, die jetzt die Rückgabe der Häuser
und Äcker verweigern. Räumungsurteile der
Gerichte bleiben folgenlos, was angesichts der
verbreiteten Anarchie im Nordirak nicht
verwundern darf.
Schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit des
Westens mit den christlichen Kirchen des Irak,
weil deren Bischöfe, soweit sie in Bagdad ansässig
sind (z.B. der Bischof der Nestorianer bzw. der
Apostolischen Kirche des Ostens), keinerlei
Hilfen für den Nordirak weitergeben können.
Dieses würde nämlich gegen das von Saddam verhängte
Embargo gegen die Schutzzone verstoßen. Aber
auch im Rest-Irak gibt es große wirtschaftliche
Probleme, auch und grade unter den Christen. Dazu
Helga Anschütz im erwähnten FAZ-Artikel:
"Die Christen leiden als Angehörige des
Mittelstands besonders unter den Folgen des
Embargos, weil die ungeheure Teuerung ihre
Ersparnisse auffrißt; besonders hart getroffen
wurden die chaldäischen und assyrischen Flüchtlinge
aus den Grenzdörfern Kurdistans, die, immer
wieder aus ihrer Heimat vertrieben und immer
wieder zurückgekehrt, schließlich resigniert in
Bagdad blieben. Die Folgen der Kriegszerstörungen
und des Embargos brachten sie um ihre Arbeit, sie
konnten die Miete nicht mehr bezahlen und wurden
auf die Straße gesetzt. Jetzt hausen sie in
Abbruchhäusern der Altstadt Bagdads. Sie werden
den Irak in Richtung Europa und Nordamerika
verlassen, wenn sie in ihrem Heimatland keine
Chance mehr bekommen. "
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