Mar Gabriel Verein -
Mitteilungsblatt 1997
Mitteilungsblatt
Januar 1997
Herausgeber: Mar Gabriel-Verein, Wischhofsweg 31d,
22523 Hamburg
Redaktion: Dr. Klaus-J. Landeck
Derzeitige
Situation in der Südost-Türkei
Im zweiten
Halbjahr 1996 hat sich die politische Situation für
die syrischen Christen im Südosten der Türkei,
speziell im Tur Abdin, nicht verschlechtert. Die
Zahl der Besuche in den Dörfern hat weiterhin
zugenommen. Syrische Christen aus Deutschland können
sofern sie einen deutschen Paß haben problemlos
ihre Verwandten in Midyat, Miden oder Hah
besuchen. Östlich von Diyarbakir gibt es zwar
zunehmend Militärkontrollen, die jedoch
Routinecharakter haben.
Mitglieder der Solidaritätsgruppe bereisten im
September den Tur Abdin und konnten vor Ort
konkrete Eindrücke sammeln. Danach reist man
unbehelligt auf den Hauptstraßen bis zum Kloster
Mar Gabriel. Um allerdings weiter, z.B. nach Idil
im Osten oder in den Bezirk Kerburan im Nordosten
von Midyat fahren zu können, benötigt man eine
Erlaubnis des örtlichen Militärkommandeurs. In
PKK-verdächtige Gebiete, z.B. in das südliche
Izala-Gebirge an der Grenze zu Syrien, wird man
jedoch nicht hineingelassen.
Offiziell herrscht
im gesamten Gebiet Ausnahmezustand, das bedeutet
für den Reisenden im Prinzip auch eine zeitliche
Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Vor 6.00
und nach 18.00 Uhr sollte man außerhalb der
Ortschaften nicht unterwegs sein, man riskiert
jedenfalls, am nächsten Kontrollpunkt
festgehalten zu werden. In der Praxis wird das
jedoch nicht so streng gehandhabt. Davon konnten
wir uns selbst überzeugen, als wir an einem
Sonntagmorgen sehr früh zur Messe nach Miden
fuhren und man uns passieren ließ. Das Verhalten
des türkischen Militärs ist örtlich sehr
verschieden. In Idil z.B. ist man ausgesprochen
unfreundlich zu Reisenden, verdächtigt sie als
Journalisten und gibt ihnen zuguterletzt Bewacher
mit, die ihnen nicht von den Fersen weichen.
Andernorts wird man sehr höflich und
gastfreundlich behandelt.
Die Menschenrechtsproblematik ist weiterhin akut.
Was den Fall der inhaftierten Silberschmiede
anbelangt (wir berichteten in unserer letzten
Ausgabe darüber), so handelt es sich
offensichtlich nicht um eine speziell gegen
Christen gerichtete Aktion. Es wurden nämlich im
gleichen Zusammenhang mehrere Moslems verhaftet.
Gegen alle wurde Anklage wegen Unterstützung der
PKK in Form von Geldzuwendungen erhoben. Die
meisten Angeklagten wurden allerdings im
September von einem Gericht in Diyarbakir
freigesprochen, einige von ihnen, darunter auch
ein Christ, sind noch in Haft. Die Angeklagten
wurden das muß hier deutlich gesagt werden in
der Untersuchungshaft gefoltert, und haben z.T.
schwere gesundheitliche Schäden erlitten.
Die christliche Minderheit in der Südost-Türkei
ist mittlerweile auf unter 2000 Einwohner
zusammengeschmolzen. Der Abwanderungstrend hält
weiter an, besonders bei der Jugend. In Basibrin
z.B. wollen vier junge Paare, gerade
frischgetraut, auswandern, nicht gegen, sondern
mit dem Willen der Eltern, die ihre Kinder in
Sicherheit wissen wollen. Wenn es auch im
Augenblick erträglich sein mag - politisch wie
wirtschaftlich - so beeinträchtigt doch die ständige
Frage: "Was kommt morgen?" das
Lebensgefühl. Nichts ist längerftistig planbar,
man muß jederzeit mit einer Katastrophe rechnen.
Die Eltern und Großeltern der Bewohner haben die
Massaker an den Christen am Anfang des
Jahrhunderts noch erlebt, das ist im kollektiven
Gedächtnis tief verankert.
Die Kurden sind unberechenbare Nachbarn, von
denen man nichts Gutes erwartet. Sogar in den zurückliegenden
Jahrzehnten relativer Ruhe gab es immer wieder
Diebstähle, Erpressungen und Entführungen. Der
Umgang mit Behörden und Sicherheitskräften ist
problematisch, das Bakschisch-System, das auf
eine für uns kaum vorstellbare Art und Weise das
öffentliche Leben durchzieht, ist besonders für
Angehörige einer Minderheit kostspielig. Der
Lebensentwurf der meisten aus der jüngeren
Generation richtet sich daher auf den Westen, der
ihnen mittlerweile auch per Satellit seine Bilder
ins Haus sendet. Viele der Älteren wollen
dagegen ausharren, solange es nur irgend geht,
ihre Felder weiterhin bewirtschaften, selbständig
bleiben. Europa ist für sie - einige sagen es
ganz deutlich - keine Perspektive.
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