Mar Gabriel Verein - Mitteilungsblatt 2004
Mitteilungsblatt 2004 ,
Herausgabe und Redaktion, im Auftrag des Mar
Gabriel-Vereins:
Dr. Shabo Talay
Universität Erlangen-Nürnberg
e-mail: sotalay@phil.uni-erlangen.de
Kontakt: Mar Gabriel-Verein; Wischhofsweg 31 d;
22523 Hamburg
In diesem
Heft finden Sie Informationen über Leben, Kultur und Sprache der
syrischen Christen. Unser Schwerpunkt
liegt aber wieder einmal auf dem Tur Abdin. Helga Anschütz
schreibt über ihre Erlebnisse und Erfahrungen während ihrer
ersten Reise in den Tur Abdin vor rund vierzig Jahren. Um dem
die gegenwärtige Lage in der Region gegenüberzustellen, wurde
auch ein Bericht von Wilhelm Tacke über die Reise des Bremer
Lehrhauses mit dem Ersten Bürgermeister des Landes Bremen, Dr.
Henning Scherf, in die Südosttürkei im Oktober 2003 in das Heft
aufgenommen.
Das Jahr 2003
war das Jahr der Bibel. Zu diesem Anlass organisierten Helga
Anschütz und Paul Harb zusammen mit dem Museum Reinbek eine
Ausstellung mit Bildern aus dem Leben der syrischen Christen.
Dabei wurden auch alte Evangeliare ausgestellt.
Im Februar des
vergangenen Jahres wurde Helga Anschütz 75 Jahre alt. Am 13.
Juli 2003 gab der Mar Gabriel-Verein zusammen mit dem
Deutsch-Libanesischen Verein zu Ehren von Frau Anschütz einen
Empfang, an dem auch die Erzbischöfe Jeshu Cicek, Niederlande
und Severius Hawwa, Bagdad, teilnahmen. Der Erzbischof der
syrisch-orthodoxen Kirche in Deutschland Isa Gürbüz übermittelte
in einem Brief seine Glückwünsche, da er am Empfang nicht
teilnehmen konnte. Frau Anschütz verzichtete auf
Geburtstagsgeschenke, sie bat alle stattdessen um eine
Geldspende für die Christen im Irak. Es kamen insgesamt 3000
Euro zusammen, die sie an den Bischof Hawwa aus Bagdad übergab,
mit der Bitte, dieses Geld Not leidenden Christen im Irak
zukommen zu lassen.
Zu dem
unterstützte der Mar Gabriel Verein auch in den vergangenen zwei
Jahren wieder die syrischen Christen, im Irak (Projekte von
CAPNI (Christian Aid Program
Nohadra-Iraq) und AAS (Assyrian Aid Society)) sowie im
Tur Abdin (u.a. Lehrerfond und Sozialfond) und in Syrien.
Auch in diesem
Heft sollen im Vorwort einige Sätze über die Lage der syrischen
Christen in ihren Heimatländern, insbesondere in Syrien, im Irak
und in der Türkei stehen: Die Lage der Christen im Tur Abdin,
Südosttürkei, bessert sich weiter. Die Rückkehrprojekte haben
schon konkrete Gestalt angenommen. Es werden fast in allen
Dörfern für Rückkehrer und Touristen Häuser und Unterkünfte
gebaut. Jedoch ist der Glaube in den türkischen Rechtstaat bei
vielen nicht ausgereift. Nicht wenige machen sich Sorgen, wie
die Türkei auf eine mögliche Ablehnung des Aufnahmeantrags
seitens der EU bezüglich ihrer, der christlichen Minderheit im
allgemeinen und den syrischen Christen im besonderen,
zugesprochen Rechte, reagieren wird.
Schwieriger
ist die Lage im Irak. Es ist genau ein Jahr her, seit die
US-amerikanischen Streitkräfte mit ihren Alliierten den Irak
angriffen und den Diktator Saddam Hussein vertrieben. In den
Medien wurde viel über das Für und Wider dieses Krieges
diskutiert. Aus der Sicht der Mehrheit der Christen im Irak war
der Krieg richtig. Was danach gekommen ist, hat aber ihre
Hoffnungen auf einen besseren Irak zumindest gedämpft. Denn
allmählich sehen viele, dass eine Pseudodemokratie im Irak nur
die Rechte der Majoritäten, der Schiiten im Süden und der Kurden
im Norden stärken wird. Sie haben jetzt einerseits Angst vor
einer islamischen Republik nach iranischem Vorbild, aber auch
vor den Sezessionsbestrebungen der kurdischen Mehrheit im
Norden. Je mehr Macht die Kurden bekommen, desto mehr ähnelt ihr
Umgang mit den assyro-chaldäischen Christen dem des früheren
Diktators. Auch sie sprechen ihnen eine nationale Identität ab
und deklarieren sie als kurdische Christen. Offiziell sind
jedoch im ganzen Irak die Assyro-Chaldäer als eine eigenständige
Ethnie mit syro-aramäischer Sprache als Minderheit mit allen
damit zusammenhängenden Rechten anerkannt. Sie partizipieren
auch an der Macht im neuen Irak. Die Frage, welche Chancen sie
in „demokratischen“ Wahlen haben werden, wenn sie höchstens 3-5%
der Gesamtbevölkerung ausmachen, muss offen bleiben. Eine
Sonderbehandlung, wie sie sie hie und da unter dem Baathregime
genossen, können sie nicht mehr erwarten. Trotz aller
Schwierigkeit fühlen sich allerdings auch die Christen des Irak
in einer Aufbruchstimmung und sprechen manchmal sogar euphorisch
von ihren Zukunftsaussichten. Die Freiheiten, die sie zuvor in
der nordirakischen Schutzzone genossen, sollen nun für den
ganzen Irak gelten. Besonders hervorgehoben werden die Chancen
für die Pflege der eigenen Kultur und Sprache. Eigene Schulen
mit aramäischem Curriculum bis einschließlich der Sekundarstufe,
die seit 1991 den Betrieb im Nordirak aufnahmen, sollen im
ganzen Irak möglich sein. Trotz all dieser Euphorie wird aber
von Besonneneren daran erinnert, dass die irakische Armee die
Unabhängigkeit des Irak von den Engländern im letzten
Jahrhundert (1933) mit einem Massaker an der assyrischen
Zivilbevölkerung der Region Simmele (22 Dörfer im Nordirak)
begonnen hat. Die Welt hat damals nur zugeschaut! Auch heute,
mahnen sie, ist noch nicht sicher, welchen Weg der neue Irak
einschlagen wird, wenn die Besatzungsmächte nicht mehr da sind.
Wir wünschen dem ganzen Irak und insbesondere den
Assyro-Chaldäern dort, dass sich die Lage beruhigt und die
Zukunft den lange gescholtenen Irakern Prosperität und
Sicherheit bringt!
Die
Selbstsicherheit der irakischen Kurden sprang auf die in
Nordostsyrien über, wo immer noch rund 120.000 syrische Christen
und Armenier leben. Bei einer Rangelei am 12. März 2004 im
Fußballstadion von Qamishli, noch vor einem Spiel, starben 14
Menschen und viele wurden verletzt. Daraufhin probten Kurden im
ganzen Land den Aufstand gegen die Staatsgewalt. In den Städten
des Nordostens, sowie in Aleppo und Damaskus wurden zahlreiche
öffentliche Einrichtungen beschädigt und zum Teil zerstört. Sie
protestierten gegen Diskriminierung und Benachteiligung. Die
Regierung rief im Nordosten des Landes den Ausnahmezustand aus.
Bei diesen Aktionen kamen mindestens 30 Personen, hauptsächlich
Kurden, ums Leben. Anscheinend hätten die arabischen Fans mit
„Es lebe Saddam Hussein“-Rufen die Kurden provoziert. Die ganzen
Aktionen müssen aber im Voraus geplant gewesen sein, sonst
würden nicht in kürzester Zeit in allen Städten der Region
hunderttausende Kurden auf die Straßen gehen. Welche Rolle dabei
die Staatsmacht spielte, ist nicht klar. Diese Aktionen zeigen
den Christen der Region wieder, in welcher gefährlichen Lage sie
sich befinden. Sie müssen sich als Minderheit der Staatsmacht
gegenüber loyal verhalten, was sie getan haben. Allerdings wird
dies früher oder später zu Problemen mit den Kurden, die
inzwischen die Mehrheit in der Region bilden, führen. Nach den
neuesten Karten für ein gewünschtes unabhängiges Kurdistan
(zuletzt im „Der Spiegel“ veröffentlicht), verstehen die Kurden,
den Nordosten Syriens als ein Teil Kurdistans. Dieser Umstand
kann in der Zukunft noch zu Spannungen führen, von denen vor
allem die dort lebenden Christen betroffen wären. Ein ähnlicher
Konflikt im Südosten der Türkei 1977 - 1998 hatte dazu geführt,
dass tausende syrischer Christen aus ihrer angestammten Heimat
nach Europa geflüchtet sind. Diese Gefahr besteht in naher
Zukunft also auch für den Nordosten Syriens. Momentan hat sich
die Lage aber beruhigt. In den anderen Staaten des Nahen Ostens
hat sich an der Situation der syrischen Christen nichts
Wesentliches geändert.
Im Namen
des Mar Gabriel-Vereins und der syrischen Christen danke ich
abschließend allen, die unsere Arbeit finanziell und ideell
unterstützen und wünsche eine erbauliche Lektüre!
Erlangen, Ostern
2004
Dr. Shabo Talay
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