Deir
Mar Gabriel - Deir Qartamin - Derömer - Deyr-ul-Umur
Dieses heute noch bedeutendste Kloster
der syrisch-orthodoxen Kirche liegt 27 km südöstlich
von Midyat an einer bei Kartmin abzweigenden 4 km
langen, asphaltierten Stichstraße im gebirgigen
Waldland des zentralen Tur 'Abdin. Ruinenfelder
umgeben das gedrungene, wuchtige Mauerwerk.
Zwischen den zum Klosterbesitz gehörigen Weide-
und unregelmäßig zwischen den Felsen angelegten
Ackerflächen ragen hier und da Mauerreste.
Steinwälle schützen Obst- und Gemüseanpflanzungen
in der näheren Umgebung des Klosters. Südlich
der Gebäude wurde eine große Zisterne angelegt;
Brunnen befinden sich auch neben dem großen
Parkplatz vor dem Haupteingang. Hier holten sich
die muslimischen Dorfbewohner der Umgebung oft
ihr Wasser. Ziegen, Schafe und einige Kühe
weideten sonst tagsüber zwischen dem Eichengestrüpp.
Nachts wurden sie wegen der Viehdiebe auf den Hof
hinter der großen Außenmauer gebracht. 1982
besaß das Kloster 12 Kühe. Schafe und Ziegen
hatte man abgeschafft, weil sie zu viel Arbeit
machten.
Seitdem das Kloster 1970 von Kurden ausgeraubt
wurde, flossen ihm reichliche Spenden, auch von
Übersee, zu, mit deren Hilfe die Mauern verstärkt
wurden; sie sind jetzt mehr als 6 m hoch. Ein mächtiges
Eisentor führt auf einen Hof. Hier schließen
sich das Pförtnerhaus, Ställe und Magazine an
den beiden Seiten an. Früher gelangte man in
einem niedrigen, nach oben führenden Gang durch
die innere Mauer in das Hauptgebäude. Seit der
noch nicht abgeschlossenen Restaurierung wurde
eine große, offene Treppe durch eine
neugeschaffene Maueröffnung gelegt.
Auch im inneren Teil fuhren verschiedene Räume
auf einen Hof. Rechts öffnet sich die
Gabrielskirche aus dem 4./5. Jahrhundert mit
ihren Arkaden zum Hof hin. In ihrem Tonnengewölbe
finden die täglichen Gebetsstunden und sonntags
der Gottesdienst statt. Die übrigen drei Kirchen
dienen einem anderen Verwendungszweck. Im "Oktagon
der Theodora" aus dem 6. Jahrhundert ist ein
häufig defektes Aggregat untergebracht, das bis
zum Anschluß an die Elektrizitätsversorgung im
Jahre 1978 das Gebäude abends mit Licht
versorgte. Die Marienkirche und die Kirche der
Vierzig Märtyrer werden als Speicher verwendet.
In der Gabrielskirche stand seit langem eine große,
rechteckige Steinplatte mit einer syrischen
Inschrift und einigen Vertiefungen, die darauf
hinweisen könnten, daß sie einst für die
Zubereitung des Brotes Verwendung fand.
Steinmetze aus Badip fertigten die Platte im
Mittelalter für das Kloster an. 1972 erhielt sie
in einer Ecke der Kirche einen neuen Platz.
Häufig wurde das Kloster von Plünderungen und
Brandschatzungen heim-gesucht. Aber als
wertvolles Kulturdenkmal ist glücklicherweise
noch eine Apsis aus dem 6. Jahrhundert in der
Nordwand erhalten. Schwarz-weiß-rote Mosaiken
aus Marmor bedecken den Fußboden, blau-weiß-goldene
Mosaiken mit Weinranken, Blumen und Kreuzen Wände
und Decke. Die reiche Innenausstattung stiftete
Kaiserin Theodora. Dagegen wirken die lebensgroßen
Wandmalereien aus dem 19. Jahrhundert neben dem
Eingang ganz rustikal.
Vom Hof aus führen Treppen in verschiedene Gebäudeteile:
links wohnen die 10 Nonnen. Nach alter syrischer
Tradition, die wegen der gespannten Lage
jahrhundertelang in Vergessenheit geraten war,
versorgen sie Küche und weibliche Gäste und
sorgen für Reinlichkeit im Kloster. Sie stammen
aus Hespest, Harapali, Mizizah, Sideri und Midyat.
Als Analphabetinnen kamen sie hierher, lernen
jetzt langsam bei dem Malphono Syrisch lesen und
schreiben. In ihren Räumen haben sie sich etwas
gemütlicher eingerichtet als die Mönche und
arbeiten in ihren Mußestunden an Stickereien.
Nur tief verschleiert verließen sie noch vor
einigen Jahren ihre Räume, um an den
Gebetsstunden in der Gabrielskirche teilzunehmen.
Heute ist ihre Kleidung schon etwas freier.
Eine andere Treppe führt auf eine Plattform, auf
der würfelförmige Räume errichtet wurden.
Malphono Isa Gülcan, im Kloster erzogen, hat
durchgesetzt, mit seiner Frau und den drei
Kindern in zwei neuen Gästezimmern im Westteil
des Gebäudekomplexes zu wohnen. Durch die übereinander
und terrassenförmig angelegten Räume wirkt das
Kloster im Innern wie eine kleines Dorf.
Ungebetene Eindringlinge können sich leicht
verlaufen, Fluchtwege bleiben offen.
Im Westteil befindet sich auch die Klosterschule.
40 Jungen von 12 bis 16 Jahren aus den Dörfern
des Tur 'Abdin werden hier zwei bis vier Jahre
lang unterrichtet. Viele hatten vorher überhaupt
keine Gelegenheit, eine Schule zu besuchen,
andere gingen in die fünfjährige Grundschule.
Altsyrisch lesen und schreiben, Hymnensingen,
aber auch Englisch, Türkisch, Rechnen und
Erdkunde stehen auf dem Stundenplan. Die Jungen
werden auch in der Landwirtschaft und beim
Hausputz eingesetzt. Die Älteren fahren jeden
Tag nach Midyat, wo sie die Mittelschule besuchen.
Malphono Isa Gülcan kam als Halbwaise mit 10
Jahren ins Kloster. Er wurde 1948 in Bati geboren
und bereits mit 14 Jahren als Malphono eingesetzt.
Nach dem Militärdienst erhielt er ein Stipendium
des Weltrates der Kirchen für einen
Studienaufenthalt im Libanon, unterrichtete im
Priesterseminar von Atschane und lernte daneben
im British Council von Beirut Englisch. 1972 rief
ihn sein Bischof ins Kloster zurück, um die vor
der Auflösung stehende Schule neu zu
organisieren. Seitdem ist er hier unentbehrlich.
Er heiratete Elisbah, die Tochter des Priesters
Asmer Bilge von Bati gegen den Willen von Bischof
und Mönchen. Das Ehepaar mußte zunächst
getrennt leben und durfte sich täglich nur kurz
sehen. Aus Protest zogen die beiden nach Midyat,
wurden aber von dem aus den USA zurückgekehrten
neuen Prior Samuel Aktas wieder für die Arbeit
im Kloster gewonnen. Elisbah macht sich als
Helferin im Unterricht und in der Betreuung des
fast erblindeten Bischofs Juavannes Afrem im
Kloster nützlich. Auf diese Weise ist eine neue
Lebensform in ein syrisches Kloster eingezogen.
Zwar leben heute Familien als Hilfe für Haus und
Landwirtschaft in den Klöstern, aber nur in den
Nebengebäuden und nicht innerhalb der
Gemeinschaft. Zunächst wird Malphono Isa mit
seiner Familie nur als Ausnahme angesehen.
Bis 1973 war Isa Cicek (geb. 1942 als Sohn des
Priesters von Kefri) Prior des Klosters. Er wurde
im Kloster Deir ez-Za'faran bei Mardin erzogen
und kam als junger Malphono ins Kloster Mar
Gabriel. Nach dem Militärdienst wurde er zum Mönch
geweiht und widmete sich anschließend tatkräftig
dem Wiederaufbau des Klosters. Auch reiste er zu
den Gastarbeitern seiner Gemeinde nach
Deutschland und sammelte hier mehrere Zehntausend
DM, so daß er ein Aggregat, einen Lieferwagen
sowie die Einrichtung für einfache Duschen und
Toiletten anschaffen konnte. Außerdem wurden Gästezimmer
und für die Gabrielskirche ein Glockenturm
angebaut. Wegen der Streitigkeiten mit einigen
Dorfpriestern mußte Cicek 1973 das Kloster und
die Türkei verlassen. Zunächst ging er nach
Atschane, anschließend nach Würzburg, von dort
aus in die USA. Jetzt ist er Bischof für die
Kirchenmitglieder in Mittel- und Westeuropa mit
dem Sitz in Holland.
Sein Nachfolger wurde vorübergehend Ilyas Öztas
aus Mizizah (geb. 1940); er war vorher für Haus
und Landwirtschaft verantwortlich. Dieser Mönch
ging 1974 nach Atschane im Libanon, um hier eine
theologische Ausbildung zu erhalten. Während des
libanesischen Bürgerkriegs hielt er sich in
Jerusalem auf, wo er bis Anfang 1979 blieb. Im
Sommer 1979 übersiedelte er nach Hengelo (Holland).
Seit 1974 leitet Samuel Aktas (geb. 1945 in
Bakisyan) das Kloster Mar Gabriel. Er wurde im
Kloster erzogen und ging 1969, nach dem Militärdienst,
als Sekretär des syrisch-orthodoxen Bischofs
nach Amerika. Hier leitete er eine Sonntagsschule.
1973 kehrte er in den Tur 'Abdin zurück. Als
aufgeschlossener junger Mann setzte Abt Samuel
verschiedene Neuerungen im Kloster durch.
Unzufrieden verließ darauf Mönch Sabo Bilgic (geb.
1900 in Ayinvert, Mönch seit dem Tode seiner
Frau 1962) das Kloster 1974; zunächst lebte er
im Kloster "Mar Augen", 1977 wechselte
er in das Kloster "Mar Malke" über. -
Mönch Hanna versieht jetzt Haus und
Landwirtschaft.
Altbischof Juavannes Afrem Bilgic verbringt seit
1972 seinen Lebensabend im Kloster. Er bewohnt
ein altes Tonnengewölbe im südöstlichen Teil
des Klosters; von den langen,
kerbschnittverzierten Fenstern aus kann man weit
über die bewaldeten Hügel des Tur 'Abdin
blicken. Viele Besucher kommen zu dem alten
Herrn, der, auf einer Matratze hockend, immer
noch als Respektsperson angesehen wird.
Zahlreiche Höhlen und Gänge befinden sich unter
dem umfangreichen Bauwerk. In einem großen Gewölbe
waren der Überlieferung nach 10000 Mönche
beigesetzt. Heute sind die altsyrischen
Inschriften an den Gräbern noch zu sehen.
Täglich kommen viele Pilger zum Kloster:
Christen aus der Umgebung und dem nahen
Kamischli, aber auch Besucher aus Europa und Übersee;
Muslime und Jesidi aus dem Tur 'Abdin - sie alle
wollen das Grab des heiligen Gabriel besuchen,
dem wundertätige Kräfte zugeschrieben werden.
Vor allem die kinderlosen Frauen erhoffen sich
Hilfe vom Heiligen. Sie werfen Münzen in das
Grab und streuen Erde aus dem Grab auf ihr Haupt,
während sie im Gebet den Heiligen anrufen. Es
heißt, daß schon vielen Frauen geholfen wurde.
Auch dem Haupt des heiligen Philoxenos von
Mabbug, auf langen Umwegen hierher gelangt,
werden wundertätige Wirkungen zugeschrieben. Überall
trifft man auf Spuren der Heiligen: Im
Klostergarten, wo Kräuter, Gemüse und Obstbäume
zwischen den Ruinen wachsen, steht in der südwestlichen
Ecke ein kleines Mausoleum aus dem 7. Jahrhundert
in der Form eines Oktagons, wo Mönche beigesetzt
wurden. Sie waren zu dieser Zeit aus Ägypten zum
Kloster "Qartamin" gekommen und dort
geblieben.
Die Gabrielskirche bildet ein besonderes Ziel für
die Wallfahrer. Hier, so glauben viele, wirken
die Kräfte des Heiligen besonders stark. Eine in
der Kirche verbrachte Nacht soll von Krankheit,
Siechtum und Unglücksfällen befreien. Deshalb
werden abends Matratzen auf den Fußboden gelegt
- gemeinsame Schlafstätten für Christen,
Muslime und Jesidi. Kranke Kinder liegen eine
Nacht vor dem Altar. Da sich die Gerüchte über
angebliche Wunderheilungen rasch verbreiten, wächst
der Pilgerstrom an. Früher mußte man zu Fuß
von der Hauptstraße aus durch das Eichengestrüpp
gehen - heute halten Personen- und Lastkraftwagen
und Autobusse vor dem Tor.
Auch das Wasser aus der Zisterne gilt als heilkräftig.
Mit einer Pumpe neben dem Eingang der Kirche -
eine neue Errungenschaft - holt man das Wasser
aus der Tiefe und verteilt es an durstige und
wundergläubige Pilger. Für Krisenzeiten reicht
das Wasser; allerdings muß für den trockenen
Sommer Wasser dazugekauft werden.
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Quelle:
Helga Anschütz, Die syrischen Christen vom Tur
Abdin, 1984
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