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Tur Abdin - Hah
Hah
- Anitli - Hah
Obwohl Hah auch im Norden des Tur 'Abdin
und in einem Gebiet liegt, das hauptsächlich von
Kurden beherrscht wird, nimmt es doch im Bewußtsein
der syrischen Christen einen solchen Platz ein,
daß es von ihnen trotz aller Schwierigkeiten
noch gehalten wird. Das Dorf liegt 22 km nördlich
von Midyat an einer neu angelegten Piste Midyat-Hah,
die in einem Bogen über Zahuran am Wadi Salo bei
Miden auf die Straße Mardin-Cizre stoßen soll.
Hah liegt im Zentrum einer fruchtbaren, hügeligen
Landschaft, die von kleinen Wäldchen, Obst-,
Walnuß- und Mandelbäumen und Weinfeldern geprägt
ist. Ein Teich am Dorfeingang sammelt das
Regenwasser. Ruinenfelder umgeben den Ort
kilometerweit.
Da Dorf und Umgebung nur wenig erforscht sind,
ist über die frühere Bedeutung dieses
Landstrichs so gut wie nichts bekannt. Bei den
Christen haben sich aber noch viele Legenden
erhalten, durch einige bekannte bauliche Überreste
immer wieder belebt. Heute leben in Hah 517 (477)
Einwohner, fast alles Christen (1980: 60 Familien).
Man spricht hier Turojo und Kurdisch. Vom Kloster
"Mar Sarkis Bakos" am nördlichen
Ortsende kam früher der Mönch Jakub Kurt zur
Gemeinde. Er siedelte aber aus Sicherheitsgründen
um 1979 in die Marienkirche über. Hier besteht
eine Sonntagsschule mit einem Malphono.
Viele christliche und muslimische Wallfahrer
besuchen die Dorfkirche "Joldath Aloho"
("Al Adhra"), die Marienkirche, von
abendländischen Kunsthistorikern als Juwel
syrischer Baukunst" angesehen. Die nach
einheimischer Überlieferung von den "Drei
Weisen aus dem Morgenland" auf ihrer Rückreise
aus dem "Heiligen Land" gegründete
Kirche ist in Form eines Oktagons erbaut. Sie trägt
eine mit roten Ziegeln bedeckte Kuppel, um die
ein Fries aus Halbsäulen und Nischen mit Reliefs
von Adlern, Vögeln und Kreuzen verläuft. Im
Innenraum an Kapitellen Blatt- und Wulstornamente-,
der Altarbogen ist mit Weinranken-, Blumen- und
Muschelornamenten verziert.
Aus dem Legendenschatz um die Marienkirche in Hah
wird gern die Geschichte von den "Drei
Weisen" erzählt: Auf ihrer Reise nach
Bethlehem kamen 12 Könige aus dem Fernen Osten
in die große Stadt Hah; nur drei von ihnen zogen
weiter, während die anderen dort blieben, ihre
Turbantücher wuschen und sie am Feuer trockneten.
Als die Tücher in die Asche fielen, sahen sie
das Bild eines Königs auf jedem Tuch und nahmen
daraufhin den Glauben des neuen Königs an.
Diesem erbaute die Bevölkerung die Kirche der
Jungfrau Maria. Lange Zeit wurden die Tücher
aufbewahrt, sind aber heute verschwunden. - Die
andere Version spricht von der Kirchengründung
auf der Rückreise der Weisen vom Heiligen Land.
Ein historischer Bericht führt den Bau der
Muttergotteskirche dagegen auf eine Stiftung
durch den Kaiser Theodosius II. (gest. 449) zurück.
Die größte Kirche vom Tur 'Abdin war "Mar
Sobo" in Hah, heute ein Trümmerhaufen; nur
das 27,3 in lange Kirchenschiff mit Ornamenten
und Inschriften und ein halbzerstörter Turm
blieben stehen. Von dem bekannten Kloster "Mar
Samuel" findet man nur noch einige Räume,
mit Säulen, Mosaiken, Ornamenten und Inschriften.
- Heute sind hier Schafe und Ziegen untergebracht.
Über dieses Kloster berichtet die Überlieferung,
es sei im Jahre 508 vom heiligen Samuel anstelle
eines Heidentempels errichtet worden. Damals habe
eine Seuche den Ort "Hahta" heimgesucht.
Um die Bevölkerung zu retten, hätten die
Notabeln den Abt Samuel vom Kloster Qartarnin
gebeten, in der Kirche "Mar Sobo' von Hah für
die Befreiung von der Seuche zu beten. Nachdem
Samuel und seine fünf Mitbrüder einige Gebete
gesprochen hätten, sei die Seuche aus dem Ort
verschwunden. Nach dieser wunderbaren Errettung
habe Samuel den Heidentempel in Hah vernichtet.
Auf einer Anhöhe im Norden überragt eine große
Burganlage mit eingebauten Häusern und Wohnungen
den Ort und seine Umgebung. Auf dem großen
Innenhof weidet das Vieh. Zu Lebzeiten des
heiligen Gabriel (geb. 593 in Qusta bei Hah) war
Hah eine, bekannte Burg. Von den Burgmauern aus
sieht man nordöstlich das nahe gelegene Kloster
"Mar Sarkis Bakos", in dem Mönch Jakub
Kurt jahrelang wohnte. Dieses oft zerstörte und
immer wiederaufgebaute Gebäude erweckt auf den
ersten Blick nicht den Eindruck von
kunsthistorischem Wert.
Hah war das erste Bistum im Tur 'Abdin; erst 1089
wurde das Gebiet in die zwei Bistümer Qartamin
und Hah aufgeteilt. Bis zum Ende des 14.
Jahrhunderts residierten hier 18 Bischöfe.
Einige von ihnen wurden bei den zahlreichen
Kurdenüberfällen zw,ischen dem 12. und 14.
Jahrhundert getötet. Mit der Zerstörung durch
die Tataren um 1400 verlor der Ort endgültig
seine alte Bedeutung.
In der Kirchengeschichte wurde Hah (Haa, Hani) häufig
im Zusammenhang mit den hier residierenden Bischöfen,
Mönchen, Kopisten, Inschriften und Autoren erwähnt.
Der bekannteste in Hah ausgebildete Autor war
Patriarch Basil Mas'oud Anton, dessen mystisches
und monastisches Werk "Das spirituelle
Schiff' weltweit gelesen wurde.
Um 1870 lebten in Hah 30 christliche und 15
kurdische Familien. Der Ort war von großen
Ruinenfeldern umgeben; Kirchen und Klöster lagen
in Trümmern; nur die Burg war offenbar noch
erhalten. 20 Jahre später fand Party hier die
"Ruinen von 20 und mehr Kirchen". Nur
die Kirche "AI Adhra" war erhalten
geblieben, weil sie auch von den Muslimen verehrt
wurde; diese lebten hier mit den Christen
zusammen. Die Bevölkerung glaubte, daß die
Kirche von den "Drei Weisen" errichtet
worden sei. Auch die Geschichte vom "Malik
Hanna, der ins Frankenland gereist sei, und auf
dessen Rückkehr man hier noch warte", erzählte
ein Mönch dem Reisenden. Wegen der großen
Unsicherheit wurden für den Patriarchen
reservierte Trauben im Hof der Marienkirche
gelagert. (Das konnte ich auch bei meinem Be-such
1975 in Hah beobachten.) - Die Dorfbewohner
wagten sich aus Furcht vor den türkischen
Beamten nicht nach Midyat, weil sie eine ihnen
auferlegte Sondersteuer nicht bezahlt hatten.
Die Christen waren von den Kurden abhängig,
hatten aber eine ausreichende Lebensgrundlage;
alle Häuser sind kurz vor dem 1. Weltkrieg neu
erbaut worden. Obwohl Gertrude Bell die großen
Ruinenfelder in der Umgebung besichtigte, fand
sie merkwürdigerweise dennoch keine Spuren von
alten Klöstern (vermutlich wurde sie von den
Dorfbewohnern nicht richtig informiert, denn die
Überreste des Klosters "Mar Samuel"
waren bei meinen Besuchen 1967 und 1975 noch ganz
gut erhalten).
Sehr beeindruckt zeigte sich die Forscherin über
die Begegnung mit einer "Nonne" (wahrscheinlich
die aus der Frühzeit der syrischen
Kirchengeschichte überlieferte "Bundestochter").
Entgegen dem einheimischen Brauch, daß Frauen
und Männer getrennt voneinander saßen und sich
unterhielten, konnte diese Nonne kommen und
gehen, wann sie wollte. Sie war sogar bereit,
sich nötigenfalls mit einem Revolver zu
verteidigen, wenn ein Massaker drohte. (Als ich
1965 zuerst den Tur 'Abdin besuchte, wurde ich
auch bald als eine Art "Bundestochter"
angesehen und entsprechend behandelt. Man verwies
dabei auf die einheimische Tradition.)
Gertrude Bell konnte eine wertvolle Estrangela-Handschrift
einsehen, die der Kirche von Hah gehörte. Diese
Handschrift ist heute verschollen, wahr-scheinlich
dem 1. Weltkrieg zum Opfer gefallen oder aber während
dieser Zeit geraubt worden. Wie ich erfuhr,
sammeln auch reiche Muslime alte christ-liche
Handschriften; das halten sie aber geheim.
Quelle: Helga Anschütz, Die
syrischen Christen vom Tur Abdin, 1984
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